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Es gibt kein nächstes Mal

Es gibt kein nächstes Mal

Titel: Es gibt kein nächstes Mal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Imogen Parker
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immer so zu hier?« fragte Gemma, als
der nächste Trupp von wüst herausgeputzten Teenagern mit weißgeschminkten
Gesichtern sich an ihnen vorbeidrängte.
    »Ich weiß es nicht«, sagte Kathy. »Um diese Zeit
bin ich selten auf der Straße. Wie können die sich das bloß leisten?«
    »Mein Gott, komme ich mir alt vor!« sagte Gemma
entsetzt.
    »In den Augen dieser Teenager sind wir bestimmt
uralt«, erwiderte Kathy unbeirrt.
    Als es ihnen endlich gelang, ein Taxi
anzuhalten, erschien es nur richtig, es Kathy zu überlassen. Gemma nahm einen
Nachtbus.
    In dem London, das sie in Erinnerung hatte, war
es nicht so zugegangen. Als sie ein Teenager war, galt es als der Gipfel an
Verruchtheit, einen Overall zu tragen und sich im Marquee eine Punkband
anzusehen. Ein paar Mädchen, die mit ihr zur Schule gegangen waren, hatten in
den durchstochenen Ohrläppchen Sicherheitsnadeln getragen und sich die Wimpern
extrem dick getuscht. Sie waren von der Schule verwiesen worden. Was ihre
übrigen Mitschülerinnen anging, so trugen sie eine Spur zartlila Lidschatten
und ein wenig Rouge auf. Das hatte nichts mit den weißgeschminkten Gesichtern
und dem schwarzen Lippenstift der Mädchen zu tun, die weiter hinten im Bus
saßen. Sie fragte sich, ob unter all der Farbe, die sie sich ins Gesicht
gekleistert hatten, auch diese Mädchen Sorgen hatten, was Pickel, Intimsprays
und Petting anging. Oder ging das heute alles sang- und klanglos an ihnen vorüber?
Verhielt es sich vielleicht mit jeder Generation so, wie Kathy sich zu
Verliebten geäußert hatte — und jede Generation hielt sich für die erste, die
den Sex, die Wildheit und die Rebellion entdeckte? Wie deprimierend! Gemma
starrte, ohne etwas zu sehen, zum Fenster hinaus, während die Gedanken im
freien Fall in ihren Kopf prasselten.
    Ralph lag in ihrem Bett und schlief. Das Licht
brannte noch. Er hatte offenbar auf sie gewartet. Gemma sah ihn lächelnd an und
liebte seinen gleichmäßigen Atem und den Umstand, daß er da war.
    Sie schaltete das Licht aus und ging nach unten,
um sich ein Glas Wasser zu holen. Dabei sah sie, daß das Licht ihres
Anrufbeantworters blinkte. Sie lächelte. Ihr gefiel es, daß Ralph ihr Telefon
nicht abnahm, wenn es läutete, daß er ihren Freiraum akzeptierte. Sie drückte
auf die Abspieltaste und drehte die Lautstärke runter. »Biskuit, rate, was
passiert ist?« sagte Daisys aufgeregte Stimme. »Komm morgen rüber, so schnell
du kannst. Estella hatte ein Baby!«
     
     
     

27
     
    Juni 1953
    Es ist
ein Junge.
    Beide wohlbehalten.
    Komm baldmöglichst. E.
     
    »Es ist rausgefallen!« sagte Daisy, als Gemma
ihr das vergilbte Blatt in die Hand drückte.
    »Was soll das heißen — es ist rausgefallen?«
fragte Gemma. Das Telegramm mußte an eine andere Seite geheftet gewesen sein,
als sie die Fotokopien gemacht hatte, denn sie sah es jetzt zum ersten Mal.
    »Ich habe den Stapel vom Boden hochgehoben, um
ihn auf dem Tisch in Sicherheit zu bringen, und dabei ist es rausgefallen. Ich
habe die Briefe nicht gelesen. Ehrlich, Gem.«
    Schon während sie es sagte, fand Daisy, diese
Erklärung klänge nicht überzeugend.
    »Gib mir die Originale wieder«, sagte Gemma und
streckte die Hand aus.
    »Jetzt komm schon, sei nicht so. Ich konnte es
kaum erwarten, daß du endlich herkommst. Ich will den gesamten Rest wieder mit
dir zusammen lesen.«
    »Wieder?« Gemma zog die Augenbrauen hoch.
    »Ich meine, so wie gestern. Ich habe die Briefe
nicht gelesen, ehrlich nicht...«
    Gemma schenkte ihr keine Beachtung. Sie nahm den
Stapel Briefe, packte sie in den Schuhkarton und klemmte ihn sich unter den
Arm. »Tschüs«, sagte sie, ohne Daisy anzusehen.
    »O Gem, geh nicht weg. Warum mußt du bloß so
sein?« Daisy vertrat ihr den Weg.
    »Weil du alles verdirbst«, sagte Gemma zu ihr.
    Daisys Unterlippe zitterte. Sie nahm sich fest
vor, jetzt nicht zu weinen. »Ich schwöre es dir, ich habe die Briefe nicht
gelesen«, sagte sie.
    »Ich glaube dir nicht«, sagte Gemma mit ruhiger
Stimme.
    »Willst du mich etwa als Lügnerin bezeichnen?«
Daisys Stimme wurde schrill. »Ich bin nämlich keine verdammte Lügnerin, und
deshalb lasse ich mich auch nicht wie eine verdammte Lügnerin behandeln. Ich
bin achtundzwanzig, Gemma. Ich bin nicht mehr deine kleine Schwester, verstehst
du. Wenn ich sage, daß ich diese verdammten Briefe nicht gelesen habe, dann habe
ich sie auch nicht gelesen... und überhaupt, was gibt dir eigentlich das Recht,
die Regeln aufzustellen? Diese Briefe

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