Es gibt kein nächstes Mal
fair. Ich weiß, daß Lauries
Gemälde wirklich gut sind, aber das waren die von van Gogh auch, und der ist im
Armenhaus gestorben.
Ich habe mir überlegt, ob ich nicht auch malen
soll. Früher hat er immer gesagt, ich hätte mich in der Schule im Zeichnen
wirklich gut angestellt, aber als ich ihm vorgeschlagen habe, ich könnte auch anfangen
zu malen, hat er einfach nur gelacht. Jetzt frage ich dich, wer hier nicht an
den anderen glaubt.
Insgeheim, Shirl, glaube ich, Laurie ist ein
gewisser Snob, obwohl er sich als einen Sozialisten bezeichnet, denn er will
nicht, daß ich seinen Freunden erzähle, womit ich Geld verdiene. Wir kennen
einen sehr netten Mann hier. Er heißt Leo und besitzt eine Galerie, und er
sagt, ich soll mir keine Sorgen machen. Er hat gesagt, Laurie ist ein bißchen
unreif, und darüber mußte ich lachen, weil er vierzehn Jahre älter ist als ich,
und was bin ich dann? Ich glaube, das ist Leo nicht aufgefallen.
Mein Freund in der Arbeit sagt: »Warum suchst du
dir nicht einen braven Mann, ein so nettes Mädchen wie du?« Erinnerst Du Dich
noch daran, daß ich ihn Dir vorgestellt habe? Das ist der, der die Messer und
Gabeln in eine Serviette wickelt und seine ganze Familie im Krieg verloren hat.
Aber Laurie ist wirklich in Ordnung, habe ich ihm gesagt. Er ist nur
frustriert, weil sein Talent nicht anerkannt wird. Er hat gesagt, Laurie könnte
sich glücklich schätzen, daß ein so braves Mädchen in ihn verliebt ist. Ein
braves Mädchen! Ausgerechnet ich, Shirl. Jedenfalls konnte ich ihn wenigstens
zum Lachen bringen.
Ich muß jetzt aufhören. Ich höre Laurie auf der
Treppe.
Liebe Grüße von Estella
Gemma füllte Wasser in den Kessel. Es freute
sie, daß ihre Mutter sich mit einem Kollegen angefreundet hatte. Sie hatte
begonnen, ihr gegenüber ausgeprägte Beschützerinstinkte zu entwickeln. Sie
machte sich eine Tasse Kaffee, ehe sie sich wieder an ihren Schreibtisch setzte
und den nächsten Brief zur Hand nahm.
Juni 1952
Liebe Shirl,
ich fühle mich etwas niedergeschlagen, und daher
dachte ich mir, ich schreibe Dir, obwohl Du mir einen Brief schuldig bist. Mach
Dir keine Sorgen. Ich weiß, daß Du ganz andere Dinge im Kopf hast. Glaubst Du,
daß Du im Laden zu hart arbeitest? Du bist den ganzen Tag lang auf den Füßen.
Vielleicht kann es sich ein Baby deshalb nicht in Dir bequem machen? Ich hoffe,
ich werde bald gute Nachrichten von Dir erhalten.
Ich möchte Dich etwas fragen, und ich wünschte,
Du säßest jetzt neben mir und wir könnten darüber reden. Meine Frage ist die:
Glaubst Du, wenn man jemanden liebt, sollte man für denjenigen alles auf Erden
tun?
Und jetzt folgt die ganze Geschichte: Da ist
also dieser Mann, der Leo heißt und eine Galerie besitzt. Ich kann mich nicht
erinnern, ob ich Dir schon von ihm berichtet habe. Er ist wirklich nett zu uns,
und er lädt uns oft auf einen Drink oder so was ein. Also, am vorletzten
Wochenende hat er uns zu einer Party in diesem herrschaftlichen Haus
mitgenommen, das einem Freund von ihm gehört. Dort gab es auch einen
Swimmingpool. Alle waren betrunken, und es hat damit geendet, daß viele von uns
nackt ins Wasser gesprungen sind. Ich hatte Laurie schon am frühen Abend aus
den Augen verloren, und als ich ihn dann gefunden habe, hat er sich mit einer
Göre, einem echten Flittchen, Mandy heißt sie, unter einem Rhododendronstrauch
gewunden. Ich war derart außer mir, daß ich heulend zu Leo gelaufen bin.
Jedenfalls muß ich einigermaßen blau gewesen sein, denn ich weiß selbst nicht,
wie es passiert ist, aber Leo hat mich geküßt und versucht, mich rumzukriegen,
Du weißt schon, bis zum Schluß. Er hat gesagt, wenn ich es täte, würde er
Laurie zu seiner Ausstellung verhelfen. Ich meine, ich mag Leo, aber nicht in
der Hinsicht, wenn Du weißt, was ich meine, und deshalb habe ich nein gesagt,
aber später habe ich es dann Laurie erzählt, und er war wirklich sauer und hat
gesagt, ich hätte es tun sollen, wenn es ihm zu seiner Ausstellung verholfen
hätte. Ich weiß nicht, was ich tun soll. Ich kann einfach nicht glauben, daß
Laurie das von mir will. Er sagt, er kann nicht fassen, daß ich so
selbstsüchtig bin. Jetzt habe ich Angst, ihn zu verlieren, aber es scheint
alles drunter und drüber zu gehen, wie in Alice im Wunderland. Stelle ich mich
dumm an, Shirl? Ich habe es niemand anderem erzählt. Schreib mir bitte bald.
Alles Liebe von Deiner Dich liebenden Schwester
Estella
Tu es nicht, dachte Gemma und nahm eilig
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