Es gibt kein nächstes Mal
längerer Zeitraum zwischen den
Briefen lag.
25. Dezember 1952
Liebe Shirl,
ich hatte so sehr gehofft, Du würdest wie im
letzten Jahr herkommen, um Weihnachtseinkäufe zu erledigen. Bei der Arbeit habe
ich ständig Ausschau nach Dir gehalten. Manchmal war ich so sicher, jetzt sei
der Tag gekommen, an dem Du mich besuchst, daß ich zum Mittagessen nicht in die
Kantine gegangen bin, sondern draußen vor der Tür in der Kälte auf Dich
gewartet habe. Wie dem auch sei, ich vermute, Du hattest zu tun.
Dieses Jahr bin ich an Weihnachten ganz allein,
Shirl. Einem weiteren Weihnachtsfest in dem eiskalten Haus von Jack und
Georgina habe ich mich nicht gewachsen gefühlt, und beim Gedanken an einen Bohneneintopf
hätte ich mich am liebsten übergeben. Laurie ist ohne mich hingefahren. Ich bin
froh, daß er das getan hat. So habe ich Gelegenheit, ungestört an Dich zu
schreiben.
Die Sache ist die, Shirl: Ich glaube, ich könnte
schwanger sein. Du weißt ja, daß ich dieses Ding habe, das Laurie mir gegeben
hat, und ich dachte mir, so was ist dazu gedacht, daß es ewig hält, aber eines
der Mädchen in der Arbeit hat mir erzählt, daß es nicht so ist und daß man sich
die Dinger von einem Arzt speziell anpassen lassen muß. Sie hat gesagt, ich
sollte es mir am besten mal ganz genau ansehen, und das habe ich dann auch
getan, aber als ich es gegen das Licht gehalten habe, hat es dieses winzig
kleine Loch gehabt, nicht größer als der Einstich einer Stecknadel. Glaubst Du,
das könnte genügen?
Ich habe meine Tage seit Ende September nicht
mehr gehabt, und Du weißt ja, daß man nach mir normalerweise die Uhr stellen
kann. Und jetzt ist mir ständig übel. Vielleicht ist das doch kein Anzeichen
dafür, weil einem nur morgens übel wird, wenn man schwanger ist, das stimmt
doch, oder nicht?
Anfangs habe ich mich wirklich gefürchtet, aber
Lauries Ausstellung war nicht ganz erfolglos, und daher ist er wesentlich
besser gelaunt. Ich weiß nicht, was er davon halten wird. Wenn ich meine Periode
bis dahin immer noch nicht habe, werde ich es ihm am Silvesterabend erzählen.
Wünsch mir Glück, Shirl.
Ich hatte gehofft, der Grund, weshalb Du vor
Weihnachten nicht in die Stadt gekommen bist, sei vielleicht der, daß auch Du
auf diesem Gebiet gute Nachrichten hast ...?
Heute ist der erste Weihnachtsfeiertag, und ich
denke an Dich und hebe meine Tasse Tee auf Deine Gesundheit (Tee ist das
einzige, was ich bei mir behalten kann!).
Weihnachtsgrüße von Estella
Februar 1953
Liebe Shirl,
jetzt ist es offiziell. Ich habe mich vom Arzt
untersuchen lassen, und er hat gesagt: »Ich gratuliere Ihnen, Mrs. Blair, Sie
werden im Juli ein Baby bekommen!« Ich hatte mir eigentlich noch gar nicht so
richtig vorgestellt, ich könnte ein Baby in mir tragen, wenn Du verstehst, was
ich meine. Auf dem Heimweg hatte ich ein ganz komisches Gefühl — als sollte es
mir grauen, aber in Wirklichkeit war ich richtig glücklich. Laurie will, daß
ich einen anderen Arzt aufsuche, den er kennt, aber ich habe ihm gesagt, das
könnte ich nicht tun. Ich glaube, er wird sich schon noch damit abfinden. Im
Moment ist er sehr nett zu mir. Ich würde gern heiraten, aber das ärgerliche
ist, daß er eine Frau hat. Eigentlich spielt es gar keine Rolle, weil ohnehin
alle glauben, wir seien verheiratet, abgesehen von ein paar Mädchen in der
Arbeit.
Ich glaube, heute habe ich gespürt, wie es sich
bewegt hat. Es hat sich nicht wie ein Baby angefühlt, eher wie Schmetterlinge,
die in meinem Bauch rumflattern. Man sieht mir noch nichts an, und daher muß es
noch recht klein sein.
Bitte schreib mir, was es bei Dir Neues gibt.
Alles Liebe von Estella
März 1953
Liebe Shirl,
komm bitte zu mir. Ich weiß nicht, was ich tun
soll. Laurie hat mich endgültig verlassen. Er hat gesagt, es sei sehr
selbstsüchtig von mir, daß ich ausgerechnet zu diesem entscheidenden Zeitpunkt
seiner Karriere dieses Baby bekommen will. Schließlich bin ich dann zu dem Arzt
gegangen, zu dem er mir geraten hat, aber der war abscheulich und herablassend,
und ich konnte es einfach nicht über mich bringen. Als ich zurückgekommen bin,
hat Laurie einen Anfall bekommen. Er hat gesagt, er könnte ohnehin nicht sicher
sein, daß es von ihm ist. Wir haben einander Dinge an den Kopf geworfen, die
Menschen niemals zueinander sagen sollten. Jetzt ist er fort, und ich würde ihn
selbst dann nicht wieder bei mir aufnehmen, wenn er mich darum anflehte.
Das blöde ist, daß im Grunde
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