Es gibt kein nächstes Mal
trockenen
Lachen. »Das macht es nur noch erstaunlicher.«
Sie wartete darauf, daß er weitersprechen würde,
doch er sah sich prüfend im Raum um, wie er es vor ein paar Minuten schon
einmal getan hatte. Schließlich kehrte sein Blick wieder zu ihr zurück, und
seine Augen, diese Tigeraugen, hefteten sich auf sie. Er sah sie fragend an,
als wartete er darauf, daß sie etwas sagen würde.
»Dann bist du also Anwalt geworden.« Gemma
tastete nach Worten, um ein Gespräch zu beginnen.
»Überrascht dich das?«
Nein, ich habe das nur so dahingesagt, weil es die
erstbeste Bemerkung war, die mir eingefallen ist, hätte sie gern geantwortet.
Statt dessen sagte sie: »Ich hätte gedacht, du würdest Barrister werden.«
»Es überrascht mich, daß dir der Unterschied
klar ist«, sagte er. »Die meisten Leute haben nicht die leiseste Ahnung.«
»Ich eigentlich auch nicht«, mußte sie zugeben.
Er sah sie unwillig an, und dann wurde seine
Miene freundlicher. »Vermutlich hat mich die echte Arbeit, die in die
Vorbereitung einer Verteidigung einfließt, mehr interessiert als die Show, die
man am Tag der Verhandlung abzieht«, begann er und schlug einen großmütigen
Tonfall an, »und ich habe keinerlei Interesse daran, im Namen eines Systems,
das von Korruption zersetzt ist, die Anklage zu erheben.« Er warf einen Blick
auf sie, weil er ihre Reaktion sehen wollte. Sie nickte pflichtbewußt.
»Technisch gesehen steht einem als Barrister nicht das Recht zu, einen Fall
abzulehnen. Natürlich tun es trotzdem alle«, fuhr er fort.
»Und was sind das für Leute, die du
verteidigst?« fragte sie und war überrascht darüber, daß er so aufgeblasen
wirkte.
»Mörder, Vergewaltiger, Rauschgifthändler...«
»Du meinst wohl mutmaßliche Mörder,
Vergewaltiger...«, fiel sie ihm ins Wort.
Er bedachte sie mit einem Blick, der ihr das
Gefühl gab, etwa zehn Jahre alt zu sein. »Es ist nicht meine Aufgabe, über
Schuld und Unschuld zu urteilen«, sagte er.
»Heißt das, du würdest jemanden verteidigen,
wenn du wüßtest, daß er jemanden vergewaltigt hat?«
»Es wäre mir nicht gestattet, jemanden zu
verteidigen, der mir gegenüber seine Schuld eingestanden hat...«
»Nein, das habe ich nicht gemeint...«
»Ich weiß genau, was du gemeint hast«, sagte er.
»Diese Frage wird mir von jeder Frau gestellt, die auch nur einen halbwegs
klaren Gedanken fassen kann.« Der Ausdruck blanken Entsetzens auf ihrem Gesicht
konnte ihm nicht entgangen sein. »Sagen wir es so: Ich gestatte mir nicht den
Luxus, darüber nachzudenken, was meine Klienten möglicherweise getan haben
könnten. Meine Haltung all den Menschen gegenüber, die ich verteidige, ist die,
daß mir dasselbe hätte passieren können...«
»Aber du bist doch kein Verbrecher!« rief sie.
»Was für eine mittelständische Denkweise du doch
hast!« erwiderte er. »Wer weiß schon, was aus einem von uns beiden geworden
wäre, wenn uns eine alleinstehende Mutter aufgezogen hätte, die sich
prostituieren mußte, um die Gasrechnung zu bezahlen«, sagte er.
Typisch, daß er ein so extremes Beispiel wählte,
aber es war zwecklos, Einwände zu erheben. Sie hatte einen Moment lang
vergessen gehabt, daß es Oliver unerträglich war, in einer Auseinandersetzung
zu unterliegen. Er war von der beinah chronischen Furcht besessen, das Gesicht
zu verlieren. Daran hatte sich nichts geändert, aber einen solchen Blödsinn
hatte er früher nicht geredet, dachte sie, oder vielleicht doch, und ihr war es
nur nicht gelungen, das zu durchschauen.
Ihre Gläser standen leer auf dem Tisch. Gemma
fragte sich, warum sie versucht hatte, Oliver wegen seiner Berufsethik auf den
Zahn zu fühlen. Damit hatte sie ihn provoziert, sie selbst stand jetzt dumm da,
und die Stimmung war angespannt, und all das hatte sie mit einem einzigen
Rundumschlag bewerkstelligt. Sie warf einen Blick auf ihre Armbanduhr. Sie
brachte es nicht über sich, jetzt zu gehen, nicht nach zehn Jahren. Nach allem,
was sie sich erwartet hatte, hätte sie diese Enttäuschung nicht verkraftet.
»Nimmst du noch einen?« fragte Oliver sie
freundlich und griff nach ihrem leeren Glas.
»Ja, warum eigentlich nicht?« sagte sie und
lächelte ihn höflich an.
»Ich habe gehört, daß du deftige Romane
rausbringst«, sagte er, als der Kellner die Getränke vor ihnen abstellte.
»Ja, so könnte man es vermutlich sagen.« Sie
hatte absolut keine Lust, sich auf die abgedroschene Diskussion einzulassen,
die die meisten Leute über literarische
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