Es gibt kein nächstes Mal
sich gebracht hatte, erschien ihr das zu traurig. Da Gemma
jetzt anscheinend wieder hier in London war, war sie enorm froh, daß sie diesen
Gedanken nicht weiterverfolgt hatte. Wenn Gemma diesen Artikel gelesen hätte,
hätte sie glauben können, Daisy plünderte ihre Erfahrungen aus, um sie schäbig
und gewinnbringend auszuschlachten, eine Formulierung, die sie ihr gegenüber
schon einmal benutzt hatte.
Daisy stand auf und schlenderte in die Küche, um
sich eine Tasse Kaffee zu kochen. Es war eine seltsame Vorstellung, daß Gemma
zurückgekommen war, daß sie schon seit einer ganzen Weile wieder hier war und
wahrscheinlich nicht weit von Daisys Wohnung vorbeigelaufen war und daß Daisy
nichts davon gewußt hatte. Sie empfand es nahezu als ihr persönliches Versagen,
daß sie die Anwesenheit ihrer Schwester in London nicht hatte unbewußt
wahrnehmen können.
Früher hatten sie einander nahegestanden. Warum
war das heute nicht mehr so? Daisy rührte so heftig in dem heißen Wasser mit
dem Instantkaffee herum, daß sie das Abtropfbrett vollspritzte. Eine Flut von
Tränen begann über Daisys Gesicht zu strömen, wie schon an jenem Vormittag, an
dem sie bei Sainsburys Kathy über den Weg gelaufen war.
Kathy war erstaunt gewesen, daß Gemma noch
keinen Kontakt zu Daisy aufgenommen hatte. Sie hatte es ihr deutlich ansehen
können. Kathy hatte sie umarmt und ihr gesagt, wo Gemma arbeitete, hatte jedoch
eine Geschichte erfunden, warum Gemma zu Hause noch keinen Telefonanschluß
hätte. Daisy war klar gewesen, daß sie log. Sie warf es Kathy nicht vor, doch
die Vorstellung, daß Gemma immer noch bemüht war, sie zu meiden, war äußerst
schmerzhaft. Warum wollte sie nichts mehr mit ihr zu tun haben?
Du könntest sie problemlos in der Arbeit
anrufen, hatte Kathy vorgeschlagen, doch Daisy wagte es nicht. Seit Gemmas
Geburtstag hatten sie nicht mehr miteinander geredet. Trotz des jahrelangen
Schweigens von Gemmas Seite rief Daisy an ihrem Geburtstag immer an. Diesmal
war es noch schwieriger gewesen als sonst, als führte man ein Gespräch mit
jemandem, den man erwischte, weil man sich verwählt hatte. Wenige Tage danach
war sie Kathy auf dem Straßenmarkt in der Inverness Street über den Weg
gelaufen (das Internet kann man glatt vergessen, hatte sich Daisy gedacht; ich
erhalte meine Nachrichten aus New York, wenn ich einkaufen gehe).
Kathy hatte ihr erzählt, daß Gemmas Mann
gestorben war. Daraufhin hatte Daisy ihr geschrieben. Sie wußte zwar nicht, was
sie sagen sollte, aber sie wollte sich unbedingt bei Gemma melden. Eine Antwort
hatte sie nicht erhalten.
Kathy war eine weitere Alternative in der Liebe,
dachte Daisy und schlenderte wieder zu ihrer Schreibmaschine. Mit ihrer
Jugendliebe verheiratet, zwei Kinder, ein hübsches Haus und einen Ehemann, der
eine Affäre hatte. Daisy fragte sich, ob Kathy von der Affäre wußte, aber sie
kannte sie nicht gut genug, um sie danach zu fragen. Als Kathy sie in der
Frischwarenabteilung neben einer Pyramide von roten Paprikaschoten umarmt
hatte, hatte Daisy einen Moment lang den Drang verspürt, ihr etwas über Rogers
Ruf zu erzählen. Teils rührte es daher, daß sie Kathy auch einen Grund zum
Weinen geben wollte, aber andererseits wollte sie Kathy auch dafür bestrafen,
daß sie die Überbringerin der Nachricht gewesen war, die sie zum Weinen
gebracht hatte.
Daisy wischte sich mit einem Papiertaschentuch
das Gesicht ab, putzte sich die Nase und fing an, ihren Artikel durchzulesen.
Wie lange, fragte sie sich, kann ich dieses Zeug noch schreiben? Jede Woche
mußte sie zahllose Aufträge ablehnen, die sie nicht noch zusätzlich bewältigen
konnte. Sie sagte sich, ihr Name müsse in irgendeiner Art Branchenverzeichnis
für Verleger stehen, unter der allgemeinen Überschrift LOHNSCHREIBER,
Spartenbezeichnung SEX. Die Bezahlung war blendend, wenngleich sie auch
manchmal Olivers Außendienstmitarbeiterin dafür ausleihen mußte, das Geld
einzutreiben, und es war wirklich leichtverdientes Geld. Aber sie langweilte
sich. Sie war nicht nur gelangweilt, sondern auch erstaunt darüber, daß sie
immer noch die Worte fand, um immer wieder Artikel zu demselben Thema zu
schreiben, die sich nur geringfügig voneinander unterschieden, Woche für Woche,
Monat für Monat, Jahr für Jahr. Wenn sie nicht bald eine andere Beschäftigung
fand, sagte sich Daisy, dann würde sie schon bald »Jahrzehnt für Jahrzehnt«
sagen können.
Sie hatte geglaubt, mehr Freiraum zu haben, wenn
sie freiberuflich
Weitere Kostenlose Bücher