Es gibt kein nächstes Mal
genauso nervös wie ich, sagte sich
Gemma.
»Wann hast du bei Panache aufgehört?«
fragte sie, und es klang, als sei sie die Personalchefin und dies sei ein
Einstellungsgespräch.
»Oh, das muß mindestens zwei Jahre her sein —
1990, glaube ich. Hoppla, das sind ja schon fünf Jahre. Verstehst du, man
wollte mich unbedingt als Ressortleiterin eines neuen Wochenmagazins abwerben,
aber dafür habe ich nicht getaugt, wirklich nicht, und deshalb habe ich den Job
nach zwei elenden Jährchen an den Nagel gehängt und beschlossen, daß ich mich
selbständig mache. Verstehst du, ich tauge nur dazu, mein eigenes Zeug zu
schreiben. Ich fand es gräßlich, ständig Ideen für andere Leute ausbrüten zu
müssen. Was hältst du davon, wenn wir uns die Speisekarte ansehen? Ich bin
restlos ausgehungert...«
Warum muß immer ich das Schweigen ausfüllen?
dachte Daisy. Warum kann ich nicht einfach den Mund halten und Gemma die
Gesprächsführung überlassen? Warum fahre ich, wenn man mir eine simple Frage
stellt, gleich haufenweise ungebetene Erklärungen auf? Du hältst jetzt den
Mund, Daisy, sagte sie sich.
Sie sah ihre Schwester an, die sich in die
Speisekarte vertieft hatte. Gemma sah jetzt wirklich aus wie eine echte
Karrierefrau, fand sie. Ihr rotblondes Haar war kurz geschnitten, zweifellos
von einem teuren Friseur, und es war links gescheitelt und schimmerte und
glänzte. Auch ihre Haut war sehr glatt. Es war die Haut eines Menschen, der
sich regelmäßig Gesichtsbehandlungen unterzieht und zwischendurch gewissenhaft
Pflegeprodukte verwendet. Sie war unglaublich schlank. Die schwarze Stretchhose
und das enganliegende taubenblaue Kaschmirtwinset betonten ihre perfekte Figur.
Wenn Daisy dieselben Sachen getragen hätte, dann wären der untere Rand der
Strickjacke und der Hosenbund nicht so vollendet zusammengetroffen wie in
Gemmas Taille, sondern sie hätten ein wenig auseinandergeklafft und ihren Bauch
gezeigt, und sie hätte keineswegs elegant gewirkt, und Daisy glaubte, sie würde
niemals mit einer weißen Kelly-Tasche rumlaufen können, denn bei ihr hätte sie
sofort Schrammen und abgestoßene Stellen gehabt.
»Der Raukesalat mit Parmaschinken und
geraspeltem Parmesan ist sehr gut...« schlug sie Gemma vor. »Und danach werde
ich das Risotto nehmen«, sagte sie zu dem Kellner, »und dazu einen Rotwein. Rot
ist dir doch recht, Gemma?«
»Normalerweise trinke ich um die Mittagszeit
keinen Alkohol...« sagte Gemma.
»Aber es ist doch ein besonderer Anlaß«, sagte
Daisy.
Gemma fühlte sich nicht in der Lage, abzulehnen.
Sie hatte vergessen, wie leicht es war, sich von Daisys Begeisterungsfähigkeit
mitreißen zu lassen. Und außerdem mußte sie zugeben, daß sie es ziemlich
genossen hatte, wie ihr der Negroni, der, soweit sie es herausschmecken konnte,
eine Mischung aus Vermouth und Gin, aber nichts zum Verdünnen enthielt, sofort
in den Kopf gestiegen war. Sie fühlte sich, als wiche die gesamte Anspannung
aus ihr, die sich im Lauf des Vormittags in ihr aufgestaut hatte.
»Dann bist du also froh darüber, daß du dich
selbständig gemacht hast?« fragte Gemma, als der Kellner zwei handbemalte
Keramikschüsseln mit Salat vor sie hinstellte.
»Oh, ja, ich finde es großartig. Es ist soviel
angenehmer, selbst darüber zu bestimmen, was man tut...« Daisy hatte zu der
Antwort angesetzt, die sie im allgemeinen auf diese Frage gab, doch dann
unterbrach sie sich plötzlich.
»Nicht wirklich«, sagte sie und verblüffte sich
selbst mit ihrer Offenheit. »Ich meine, ich bin nicht unglücklich oder so,
aber... ich meine, glaubst du, daß du glücklich bist, oder sagst du dir
manchmal, daß es doch noch mehr geben muß? ... Ich weiß nicht recht, ich fühle
mich irgendwie so wertlos... Und außerdem...« Sie ertappte sich dabei, daß sie
etwas in Worte zu fassen versuchte, was sie derzeit immer mehr beunruhigte.
»Ich glaube nicht, daß es etwas gibt, was ich wirklich gut kann. Nein, ich übe
mich nicht in falscher Bescheidenheit...«, sagte sie und sah, wie Gemma die
Augenbrauen hochzog. »Ich meine, zum Beispiel hat mich heute morgen die
Feuilletonchefin der Cosmopolitan aufgefordert, dort feste Mitarbeiterin
zu werden. Auf meinem Gebiet kann man nicht viel höher hinaufkommen, und
einerseits bin ich begeistert, aber wenn ich es mir erlaube, auch nur eine
Sekunde lang zu glauben, das hätte ich nicht verdient, dann kann ich mich
plötzlich nicht mehr vor diesen Gefühlen retten, daß ich in Wirklichkeit nichts
tauge und
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