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Es grünt so grün

Es grünt so grün

Titel: Es grünt so grün Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ward Moore
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Gras nach Catalina; dort sollten wir an Bord eines Charterboots gehen und die inzwischen überwachsenen Küstenstreifen in Augenschein nehmen. Eine neue Beobachtungsstelle. Mich begleitete der Kameramann Rafe Slafe, so ungesellig und mit seinen Arzneien beschäftigt wie beim ersten Mal.
    Es war ein trauriger Anblick zu sehen, wie die rechteckigen Raster aus Landstraßen und Highways, kultivierten Feldern und Orangenhainen, würfelförmigen Städten und sich ausbreitenden Vororten abrupt endeten und von der eintönigen Uniformität des vordringenden Grases ausgelöscht wurden. Meilenweit flogen wir über das blendende Grün, bis unsere Augen von der Einförmigkeit schmerzten und unser Geist von dem Mangel an Abwechslung dort unten abgestumpft war. Auf dem Meer weit dahinter unterbrach schäumende Gischt die Monotonie der Farbe, ein fliegender Fisch sprang aus dem Wasser und glitzerte sekundenlang in der Sonne, losgerissenes Seegras trieb auf der Wasseroberfläche und gab dem intensiven Blau eine andere Tönung. Aber dort unter uns rührte nichts Fremdes an die unnatürliche Homogenität. Kein einzelner Baum brach aus dem endlosen Grünland hoch, das jetzt von den Wunden, die die Brandbomben gerissen hatten, geheilt war, kein Flecken salzigen Bodens, kein wandernder Fluß, kein ungebärdiger Strauch brachten Leben in diese Pflanzenwüste. Es gab nicht einmal eine etwas außergewöhnliche Form, eine Erhebung hier oder dort oder einen abgestorbenen Flecken, die phantasielose Symmetrie aufzulösen. Ich habe von Menschen gelesen, die in Einzelhaft verrückt geworden sind, weil sie ständig auf dieselben unveränderlichen Wände blickten; und hier war eine Einzelzelle, die sich über viele Kilometer erstreckte, und ihre geistzerstörende Kraft war ebensosehr vergrößert.
    Von der Anwesenheit der anderen erfuhr ich wenig Trost, denn der Pilot war mit Navigation beschäftigt, während Slafe wie immer stur Kilometer um Kilometer der grünen Fläche aufnahm, nicht einmal innehielt oder sprach, obwohl ich nicht verstand, wie er den Verbrauch von soviel Filmmaterial rechtfertigte, wenn jeder Fußbreit mit dem davor und dem dahinter identisch war.
    Schließlich hatten wir das schreckliche Gewächs hinter uns gelassen und flogen über dem Meer. Tausend Details, die ich vorher nie bemerkt hatte, eröffneten sich meinem plötzlich erfrischten Auge. Nicht den Bruchteil einer Sekunde war das Wasser gleich. Hochschießend, wirbelnd, aufspritzend und zurückschäumend, warf es seine eigenen Schatten und spiegelte das Sonnenlicht in unendlich vielen Facetten; es wandelte sich ständig, und es war unmöglich, auch nur einen winzigen Teil seiner Veränderungen festzuhalten. Aber Slafe teilte meine freudige Erleichterung offenbar nicht, denn er wandte seine Kamera zurück, um auch noch den allerletzten Blick auf die grüne Masse aufzunehmen, die ich so glücklich hinter mir gelassen hatte.
    Auf dem Flughafen, auf dem Weg zum Schiff, auf dem Boot selbst – dauernd erwartete ich, daß Slafe sich entspannte, mehr als nur ein paar Gesprächsfloskeln sagte, irgend etwas tat, das ihn von einem Automaten abhob. Aber seine Handlungen waren darauf beschränkt, sein Nasenspray zu benutzen, eine Kamera gegen die nächste auszuwechseln, durch das obskure Einglas in die Sonne zu äugen und sich murmelnd über Filmdosen zu beugen, die er ständig sortierte und neu sortierte, was stets unvermeidlich mit einem unbefriedigenden Ergebnis endete.
    Als wir auf die Abfahrt warteten, zog ein widriger Nebel zwischen uns und dem Hauptland auf. Er lag wie ein rätselhafter Vorhang auf dem Objekt unseres Ausflugs und betonte nur noch mehr die Normalität von Avalon in unserem Rücken. Als das Boot Fahrt aufnahm, konnte ich trotz angestrengter Versuche im Osten nicht die schwächste Andeutung der ominösen Konturen erkennen. Wir jagten auf sie zu und zerschnitten das purpurne Meer zu weißem Schaum. Slafe, wie gewöhnlich schweigend, befand sich im Bug, die Mannschaft hatte zu tun. Als einziger an Bord hatte ich keine Arbeit, also nahm ich meine Ausgabe des Intelligencer heraus, und nachdem ich die Kolumne, die unter meinem Namen erschien, gelesen und dabei bemerkt hatte, mit welch schlechtem Stilgefühl sie verwässert worden war, wandte ich mich zum Trost den Börsennotierungen zu. Der Doe-Jones-Index ging schon wieder abwärts, aber das war nur zu erwarten, da die Ausbreitung des Unkrauts das Gleichgewicht der Börse gestört hatte. Automatisch flogen meine Augen

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