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Es interessiert mich nicht, aber das kann ich nicht beweisen. Roman

Es interessiert mich nicht, aber das kann ich nicht beweisen. Roman

Titel: Es interessiert mich nicht, aber das kann ich nicht beweisen. Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Spilker
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denn hier?«, bevor dann doch pflichtgemäß nach der Fahrkarte gefragt wird. Wohl dem, der jetzt schon eine hat und weiß, bis zu welcher Station er fahren muss. Wer es nicht weiß, sollte lieber schweigen und einfach irgendwo aussteigen, wo es ihm bekannt vorkommt. Alles ist besser, als es dem Mann hinter dem Steuer zu beichten.
    Er schaut mir in die Augen, ohne mich zu erkennen, obwohl er mich wohl tausend Mal gefahren haben muss, und winkt mich mit einem Nicken durch. Einige Senioren sitzen in der ersten Reihe. Es gibt einen kräftigen Ruck, als der Bus anfährt, und ich habe Mühe, mich festzuhalten. In der nächsten Kurve rutsche ich dann zusammen mit meinem Koffer in eine freie Reihe. Ich habe nun beinahe zwanzig Minuten Zeit, mir die vertrauten Häuser und Straßen anzuschauen, die sich hier seit mehr als hundert Jahren befinden.
    Irgendwann erkenne ich die Wege und Routen, die ich mir als Kind zu einem inneren Stadtplan zusammengebaut habe, um trotz abenteuerlichster Unternehmungen wieder nach Hause zu finden. Seitengassen und Spielstraßen sind ein hervorragendes Revier für all die Fahr- und Spielzeuge, die einem in dieser Zeit zur Verfügung stehen, bergen aber auch die ständige Gefahr, die Kontrolle zu verlieren, sich zu verirren. Abgesehen davon, dass es sich nur um ein paar einfache Wege handelt, in denen sich ein erwachsener Mensch niemals verirren könnte, sind die Häuser natürlich viel kleiner, die Hecken niedriger und die Bäume weniger majestätisch, als ich sie in Erinnerung habe. Auch ist alles reichlich heruntergekommen. Fassaden zerfallen und Unkraut wuchert aus nicht reparierten Stellen in der Matrix. Eigentlich müsste es eine Art Bürgerwehr geben, die den Wildwuchs mit gelben Kanistern auf dem Rücken besprüht und vernichtet. Dass das nicht der Fall ist, scheint mir ein schlechtes Zeichen zu sein: Die Gegend ist schon zu schwach, um sich zu wehren.
    Das Haus steht noch an Ort und Stelle. Es ist schön, wenn die Vergangenheit einen Platz hat, den man betreten kann. Es ist das Gebäude, in dem immer noch wilde Tiere wohnen. Nur die riesige alte Kreuzspinne im Garten wird wohl nicht mehr leben.
    Wie immer tätschelt mir Mutti beim Eintreten die Wange und wie immer wundert sie sich, dass ich mit der Bahn angereist bin. Für Menschen, die einen Großteil ihres Lebens im Auto verbracht haben, ist das nur schwer verständlich. Vater und Mutter waren mit ihrer kleinen Spedition in der Gegend einmal so etwas wie die Herrscher der Straßen. Nach dem Boom in der Anfangszeit und den wirtschaftlichen Erfolgen der siebziger Jahre wurde es danach aber immer enger für sie. Die achtziger Jahre waren das Jahrzehnt des Niedergangs. Zum einen wuchs die Konkurrenz, zum anderen ließen sie sich Knebelverträge aufzwingen, welche die Preise drückten und ein wirtschaftliches Betreiben ihres Geschäftes unmöglich machten. Es kostete Mutter viel Überredungskunst, Vater irgendwann dazu zu bringen, das Unternehmen zu verkaufen, ehe sie sich bis über die Ohren verschuldeten und ruinierten. Den geschäftlichen Überblick zu behalten und zu berechnen, was sich lohnte und was nicht, war schon immer ihre Rolle. Für meinen Vater stand neben der wirtschaftlichen Existenz vor allem sein Selbstbild auf dem Spiel. Er liebte es viel zu sehr, Chef zu sein, um sich jetzt ausschließlich dem Privatleben widmen zu können. Etliche Jahre war er unausstehlich. Mittlerweile hilft er hier und da bei ehemaligen Geschäftspartnern aus. In der Gegend herumzufahren gibt ihm das Gefühl, dass alles noch so ist wie damals.
    »Hallo Mutti.«
    »Hallo Thomas.«
    »Du bist ja ganz zerzaust, hast du keine Mütze?«
    Ich schaue in den Taschen nach. Hatte ich eine? Ich erinnere mich nicht.
    »Du bist und bleibst aber auch ein Schussel.«
    Es ist Magie. Kaum werde ich von ihr Schussel genannt oder mit irgendeiner Bemerkung über meine Kleidung oder den Gesundheitszustand bedacht, bin ich wieder Kind. Zeitreisen sind also möglich.
    Ich betrete die vertrauten Räume. Es riecht nach altem Leder. Vater hat über Jahre hinweg auf Fußbällen die Unterschriften von Fußballspielern gesammelt und stellt sie im Flur aus. Es kommt mir immer so vor, als wären die Ausdünstungen der Lederbälle das Entscheidende, was sich niemals ändert, egal, welche Gegenstände oder Möbel sonst an- oder abgeschafft werden.
    Trotz der fortgeschrittenen Stunde ist meine Mutter noch mit irgendetwas beschäftigt. Muße ist ihr sogar im Alter fremd. Als Kind durfte

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