Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Es interessiert mich nicht, aber das kann ich nicht beweisen. Roman

Es interessiert mich nicht, aber das kann ich nicht beweisen. Roman

Titel: Es interessiert mich nicht, aber das kann ich nicht beweisen. Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Spilker
Vom Netzwerk:
halt irgendwie beschäftigen.«
    Sie steht auf, um mir ein neues Bier zu holen.

14
    Ameland. Es ist nur eine Postkarte. Aber sie sorgt dafür, dass irgendwo ganz hinten im Gedächtnis Erinnerungen, Gefühle, Bilder und Gerüche aktiviert werden. Die ganze Geschichte. Die eigene Geschichte.
    Auf dem kleinen Tisch neben dem Telefon liegt ein Kuli.
    Klick.

    Die Sonne blitzt heiß über dem Meer. Ein Bauernhof. Schafe. Ställe, aus denen die Tiere entfernt worden sind. Von einigen der Doppelstockbetten baumeln Beine. Aus der Dunkelheit der unteren Etagen blinzeln müde Augen träge in das Zwielicht. Draußen pfeift der Wind um die Häuser und Stallungen.
    Die Mäuse sitzen in der Falle. Sie erwarten zu hören, was sie ständig zu hören bekommen, seit sie in der Freizeit sind: Wie wichtig es ist, »gerufen« zu werden und dazuzugehören. Es ist nichts, was man erzwingen könnte, sondern etwas, das einem passiert. Eine Gnade. Ein Mysterium. Man kann selbst nichts dazu tun. Nur der Heilige Geist entscheidet, wer »gerufen« wird und wer nicht. Tagelang wird über Gleichnissen gegrübelt und gebetet, bis es hoffentlich so weit ist, dass man die erlösende Stimme Jesu Christi hört. Wenn das geschieht, ist man einen großen Schritt weiter und Gott schon ein gutes Stück näher. Das heißt dann auch, dass man hier auf Erden, in der Freizeit, mehr bedeutet und mehr zu sagen hat. Wer möchte das nicht?

    Klick.

    Sie werden in Gruppen eingeteilt. So sollen sie lernen, Verantwortung zu übernehmen. Gemeinsam an einem Strang ziehen – nur so kann man seine Gegner besiegen. Natürlich funktioniert das am besten, wenn es einen Anführer gibt. Die Mannschaften, die keinen haben, verlieren immer. Im Krieg braucht man klare Strukturen. Einige haben Heimweh oder fühlen sich ausgegrenzt, weil sie weder stark genug sind für die Spiele noch die Stimme Jesu Christi hören. Großer Druck lastet vor allem auf denen, die der Gemeinschaft Schaden zufügen könnten. Auf denen, die nicht pünktlich sind, die sich nicht an die Regeln halten, die lügen oder stehlen. Der Einzelne und seine Bedürfnisse sind nichts. Die Gemeinschaft ist alles.
    »Im Schiff, das sich Gemeinde nennt, muss eine Mannschaft sein,
    sonst ist man auf der weiten Fahrt verloren und allein.
    Ein jeder stehe, wo er steht, und tue seine Pflicht;
    wenn er sein Teil nicht treu erfüllt, gelingt das Ganze nicht.«
    Die Shanties, die sie singen, sind Lieder vom drohenden Tod und der Sehnsucht nach der Heimat. Sie stehen in der
Mundorgel
, die aussieht wie eine Mao-Bibel. So rüstet man sich innerlich für das »wirkliche Leben«, für den Krieg, der wenigstens nicht mehr mit Waffen geführt wird. Am schlimmsten ist die beständige Angst, nicht »gerufen« zu werden. Was, wenn man am Ende nicht mitsegeln darf auf dem »Schiff, das sich Gemeinde nennt«?

    »Wusstet ihr eigentlich, dass wir in dieser Freizeit in den Händen einer Sekte waren?«
    »Das glaube ich nicht«, entgegnet Mutti ehrlich entrüstet. »Die Kirchengemeinde hätte das doch niemals zugelassen.« In der Generation meiner Eltern war man noch Pimpf im Deutschen Jungvolk. Man bückte sich vor dem Führer und dem Pfarrer und stellte niemals Autoritäten infrage. »Und wenn schon – du hast doch keinen Schaden genommen, oder?«
    »Ich habe Stimmen gehört.«
    »Wie bitte?«
    »Ich habe Stimmen gehört.«
    »Was für Stimmen?«
    »Wir haben uns alle – fast alle – eingebildet, die Stimme von Jesus Christus zu hören. Wie die das gemacht haben, weiß ich nicht. Jedenfalls sind wir irgendwann auf die Knie gefallen und haben zu Gott gebetet.«
    »Aber das ist doch nicht schlimm, mal auf die Knie zu fallen und zu Gott zu beten.«
    »Na ja, wenn eine Art Gehirnwäsche dahintersteckt, schon. Es hätte statt Gott genauso gut Adolf Hitler sein können.«
    »Jetzt fang bitte nicht wieder damit an! Ich finde, du tust denen unrecht. Die haben doch alles freiwillig und ehrenamtlich gemacht.«
    »Na klar! Gehirnwäsche, freiwillig und ehrenamtlich.« Ich merke, wie mich unser altes Thema zuverlässig in Rage bringt. Es ist aber auch befreiend, sich mal wieder aufzuregen. »Viele von denen sind später bestimmt in irgendeiner Wehrsportgruppe oder bei sonst einem Naziverein gelandet. Ganz freiwillig und ehrenamtlich.«
    Meine Mutter bekommt den trotzigen Zug um den Mund, den ich so gut kenne. »Also, ich hatte das Gefühl, dass ihr es da ganz gut hattet. Jedenfalls warst du immer knackig braun, wenn du zurückgekommen

Weitere Kostenlose Bücher