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Es interessiert mich nicht, aber das kann ich nicht beweisen. Roman

Es interessiert mich nicht, aber das kann ich nicht beweisen. Roman

Titel: Es interessiert mich nicht, aber das kann ich nicht beweisen. Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Spilker
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sie nicht mit einem Buch in der Hand erwischt werden. Wer Zeit zum Lesen hatte, galt als nicht ausgelastet. Sie versteht es aber auch sehr gut, einen vielbeschäftigten Eindruck zu erwecken, selbst wenn wenig zu tun ist. Und jetzt gibt sie sich besondere Mühe, weil ich zu Besuch bin.
    »Komm in die Küche. Ich habe noch Reste von heute Mittag.« Immer hat sie irgendwelche Reste zu essen. »Wie lange bleibst du denn?« Sie wird wohl nie die Hoffnung aufgeben, ich könnte wieder bei ihnen einziehen, damit alles wie früher wäre. »Vater ist noch nicht wieder da«, wirft sie dann noch ein, bevor ich auf die Frage antworten kann. Ihre Aufgeregtheit amüsiert mich.
    »Ich kann leider nur bis morgen bleiben. Nur für eine Nacht.«
    Hinter dem zweigeschossigen Haus liegt ein großer Garten, der einen Hang hinunter bis zu einem kleinen Wasserlauf reicht. Das aus der großen Fensterfront hinausdringende Licht beleuchtet ihn ein Stück weit. Man kann nicht viel erkennen, aber er wird gut gepflegt sein, wie immer.
    Das Wohnzimmer besteht aus zwei ehemals getrennten Räumen, von denen einer die Sitzgruppe und den Fernseher enthält, der andere einen großen Esstisch, der nur benutzt wird, wenn Besuch da ist. Überall befinden sich Gegenstände aus schweren Materialien, Eiche, Zinn, Schmiedeeisen. Die vielen dunklen Farbtöne lassen die Wohnstube bei Tag hell und freundlich aussehen, weil durch die Fenster so viel Licht hereinfällt, am Abend jedoch dunkel und klein. Im Sommer hört man abends an den Scheiben ständig Nachtfalter, die zum Licht streben und durch die Fenster ihre Grenzen kennen lernen. Im Herbst prasselt der Regen dagegen, wenn der Wind aus der falschen Richtung kommt. Dann fällt Mutti immer ein, dass sie die Fenster gerade erst geputzt hat.
    Während sie die Kohlroulade und die Kartoffeln vom Mittagessen aufwärmt, blättere ich in einem alten Fotoalbum. Das Kind, die Nachbarskinder, deren Eltern, Taufe, Konfirmation und immer wieder die Verwandtschaft. Nichts Neues. Es ist ja auch ein altes Album. Wie bei jedem unserer Treffen beansprucht die Vergangenheit den größten Raum in unseren Gesprächen und verdrängt die Gegenwart. Zur Gegenwart gehört auch meine in Muttis Augen so unseriöse Lebensplanung. Von der aktuellen Katastrophe brauche ich deshalb gar nicht erst anzufangen.
    Als wir am Esstisch sitzen und ich mit der Kohlroulade gerade fertig bin, kommt Vater nach Hause und unterbricht unser Gespräch. Er hat schon gegessen und lässt sich nur kurz dazu herab, uns zu begrüßen. Wieder einer seiner Auftritte: die Inszenierung seiner Machtposition als Chef und Familienvorstand, obwohl er beides nicht mehr ist, selbstbewusst und ohne Rücksicht darauf, was andere gerade tun. Früher dachte ich immer, seine berufliche Rolle färbe auf das Privatleben ab. Inzwischen weiß ich, dass er nicht anders kann. Er hält sich tatsächlich für den Mittelpunkt der Welt und versucht erst gar nicht, sich in andere hineinzudenken. Lautstark und mit großer Geste werde ich begrüßt, ohne dabei das Gefühl zu bekommen, dass er sich tatsächlich dafür interessiert, ob ich da bin. Nach kurzem Smalltalk setzt er sich vor den Fernseher.
    Mutti bringt das Geschirr weg und kommt mit einer Kiste aus dem Keller wieder, die sie vorbereitet hat: alte Sachen von mir, von denen sie wissen will, ob sie sie wegwerfen kann. Abgelegtes Leben in einem staubigen Karton. Ich solle mir doch heraussuchen, was ich noch behalten will.
    Ich krame ein bisschen darin herum und finde einen ganzen Stapel alter Postkarten, zumeist von mir an die Eltern geschrieben. »Mir geht es gut. Wie geht es Euch?« Möwen und Strände auf den Bildern, einmal ein besonders kitschiger Sonnenuntergang.
    Helgoland, Norderney, Baltrum, Wangerooge.
    Eine Karte ist aus Holland: Das Motiv zeigt die Luftaufnahme einer Insel. Die Orte sind beschriftet. Auf der Rückseite die abgestempelte Briefmarke mit einer Königin. Ameland. Eine akkurate Beschreibung der Aktivitäten auf der Insel in Kinderschrift, eine Aufzählung dessen, was alles unternommen wurde, zur Beruhigung der Eltern und zur Bestätigung, dass die gebuchten Attraktionen auch geliefert wurden: Ponyhof, Wattwanderung, Krabbenkutter.
    Ich zeige Mutti die Karte. Sie scheint sich zu erinnern.
    »Ich war mehrmals auf Ameland, oder?«
    »Zwei oder drei Mal. Wir haben dich dort sogar mal besucht. Wir hatten ja nicht immer Zeit, mit dir in Urlaub zu fahren, nur weil du gerade Ferien hattest. Und dann musste man dich

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