Es ist nicht alles Gold was glänzt
gehangen hatten. Im de la Faille waren sie unter den Nummern 485 ›Les Amoureux‹ (Die Liebenden), 628 ›La Moisson‹ (Die Ernte) und 776 ›Le Jardin de Daubigny‹ (Der Garten von Daubigny) aufgeführt. Die beiden letzteren waren, wie man wußte, 1929 und ›Les Amoureux‹ wahrscheinlich um die gleiche Zeit von der Nationalgalerie in Berlin erworben worden. Bei Kriegsbeginn waren alle drei Gemälde verschwunden.
Jean-Pierre hatte sich mit Prof. Wormit von der Stiftung Preußischer Kulturbesitz in Verbindung gesetzt. Der Professor, eine internationale Autorität in allen Fragen verschollener Kunstwerke, hatte eine der Möglichkeiten ausgeschlossen: ›Le Jardin de Daubigny‹ war offensichtlich nach dem Krieg in der Sammlung von Siegfried Kramarsky in New York wieder aufgetaucht – wie er dorthin gelangt war, blieb allerdings ein Geheimnis. Kramarsky hatte ihn später an die Nichido-Galerie in Tokio verkauft, wo das Bild heute hängt. Über das Schicksal der anderen beiden van Goghs konnte der Professor nichts berichten.
Als nächstes wandte sich Jean-Pierre an Madame Tellegen-Hoogendoorm vom Nederlandse Rijksbureau voor Kunsthistorische Documentatie. Madame Tellegen galt als anerkannte Autorität in Sachen van Gogh, und mit ihrer sachverständigen Hilfe gelang es Jean-Pierre, die Geschichte der vermißten Gemälde allmählich zu rekonstruieren. Sie waren, zusammen mit vielen anderen – trotz heftiger Proteste seitens des Direktors Dr. Hanfstaengl und des für Gemälde zuständigen Dr. Hentzen –, 1937 von der NSDAP aus der Berliner Nationalgalerie entfernt und, von den spießigen Nazis als ›Entartete Kunst‹ gebrandmarkt, in ein Depot in der Köpenicker Straße in Berlin gebracht worden. Hitler hatte das Lager im Januar 1938 selbst besucht, nachdem derartige illegale Übergriffe durch eine offizielle Konfiszierung legalisiert worden waren. Was mit den beiden van Goghs geschah, ist völlig unbekannt. Viele der konfiszierten Werke wurden von Joseph Angerer, einem Beauftragten Hermann Görings, unter der Hand im Ausland verkauft, um die dringend notwendigen Devisen zu beschaffen. Andere kamen bei einer von der Kunstgalerie Fischer in Luzern veranstalteten Auktion am 30. Juni 1939 zur Versteigerung. Aber viele der in der Köpenicker Straße gelagerten Werke verbrannten einfach oder wurden gestohlen.
Es gelang Jean-Pierre schließlich, sich Schwarzweißreproduktionen von ›Les Amoureux‹ und ›La Moisson‹ zu beschaffen: selbst wenn es jemals Farbfotos von diesen Gemälden gegeben haben sollte, existierte kein einziges mehr. Auch schien es Jean-Pierre sehr unwahrscheinlich, daß noch irgendwo Farbreproduktionen von zwei Bildern vorhanden sein sollten, die 1938 zuletzt gesehen worden waren. Also beschloß er, zwischen diesen beiden Gemälden seine Wahl zu treffen.
›Les Amoureux‹ war mit 76 x 91 Zentimeter das größere Exemplar. Van Gogh schien jedoch nicht mit ihm zufrieden gewesen zu sein. Im Oktober 1889 (Brief Nr. 556) sprach er von ihm als ›einer sehr unzulänglichen Skizze zu meinem letzten Bild‹. Darüber hinaus war es unmöglich, die Farbe des Hintergrunds zu erraten. ›La Moisson‹ hingegen hatte van Gogh gefallen. Er hatte es im September 1889 gemalt und darüber geschrieben: ›Ich habe große Lust, den Schnitter noch einmal für Mutter zu machen‹ (Brief Nr. 604). Tatsächlich hatte er bereits drei andere, sehr ähnliche Bilder eines Schnitters zur Erntezeit gemalt. Jean-Pierre konnte Farbnegative von zweien dieser Gemälde vom Louvre und vom Rijksmuseum, wo sie heute hängen, erhalten und studierte die zeitliche Aufeinanderfolge. Die Position der Sonne und das Spiel des Lichts auf der Landschaft waren praktisch die einzigen Unterscheidungsmerkmale: er konnte sich genau vorstellen, wie ›La Moisson‹ in Farbe ausgesehen haben mußte.
David Stein stimmte Jean-Pierres endgültiger Wahl zu; er studierte die Schwarzweißreproduktion von ›La Moisson‹ und die Farbdiapositive der beiden verwandten Bilder lange und eingehend, bevor er mit der Arbeit begann. Dann nahm er ein unbedeutendes französisches Gemälde aus dem späten 19. Jahrhundert, entfernte die Farbe von der Leinwand, markierte auf dieser die genaue Größe des Bildes – 48,5 x 53 Zentimeter – und wählte Spachtel und Pinsel von der Art, wie van Gogh sie bevorzugt hatte. Sechs Wochen später war ›La Moisson‹ fertig. Stein überzog das Gemälde mit Firnis und ließ es vier Tage in einem auf 30° C leicht
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