Es ist nicht alles Gold was glänzt
Adrian.
»Ergreifen Sie die Initiative und machen Sie schon, sonst werden Sie bald nichts anderes mehr zu tun haben, als sich um Jean-Pierres Herz zu kümmern. Ist das klar?«
»Völlig klar«, bestätigte Adrian ängstlich.
Adrian betrat die Räume von Sotheby und ging unauffällig geradewegs auf den nächsten Spiegel zu. Gott sei Dank, er war immer noch unkenntlich. Oben entdeckte er Harvey ziemlich weit hinten im Versteigerungsraum und ließ sich auf dem nächsten Sitz in der Reihe hinter ihm nieder.
Die Auktion mittelalterlicher Tafelmalereien war in vollem Gange. Harvey wußte, daß er die Gemälde eigentlich hätte mögen sollen, aber er konnte sich mit der gotischen Vorliebe für Schmuck und helle vergoldete Farben einfach nicht befreunden. Hinter ihm zog Adrian nach einem Augenblick des Überlegens seinen Nachbarn in ein leise geführtes Gespräch.
»Finde das sehr schön, aber ich bin kein Kenner. Ich fühle mich wohler in der Moderne. Trotzdem, ich muß mir ein paar passende Worte darüber für meine Zeitung einfallen lassen.«
Adrians Nachbar lächelte höflich.
»Berichten Sie über alle Auktionen?«
»Fast alle – besonders über die, bei denen etwas Überraschendes auftauchen kann. Eigentlich bin ich gerade auf dem Weg zur Lamanns-Galerie, ein Stück die Straße hinauf. Einer der Verkäufer hier hat mir einen Tip gegeben, daß die dort etwas Besonderes aus der impressionistischen Schule hätten.«
Adrian zielte mit der geflüsterten Information sorgfältig auf Harveys rechtes Ohr. Kurz darauf sah er sich belohnt: Harvey zwängte sich aus seiner Reihe und ging. Adrian wartete das Versteigern dreier weiterer Stücke ab und folgte ihm dann.
Draußen hatte James geduldig Wache gehalten.
»10.30 Uhr – keine Spur von ihm.«
»Verstanden.«
»10.45 Uhr – immer noch keine Spur von ihm.«
»Verstanden.«
»11.00 Uhr – er ist nach wie vor drin.«
»Verstanden.«
»11.12 Uhr – Alle Stationen klar zum Gefecht! Alle Stationen klar zum Gefecht!«
James betrat rasch und unauffällig die Lamanns-Galerie, wo Jean-Pierre wieder einmal das Sutherland-Aquarell von der Themse und dem Bootsverleiher aus dem Fenster nahm und durch ein Van-Gogh-Bild ersetzte – ein so herrliches Exemplar aus des Meisters Œuvre, wie es schöner keine Londoner Galerie je gesehen hatte. Nun würde es einem Säuretest unterzogen werden: Das Lackmus-Papier lief bereits zielstrebig die Bond Street hinunter darauf zu.
Das Bild war von David Stein gemalt worden, der in der Welt der Kunst dafür berühmt-berüchtigt war, 330 Gemälde und Zeichnungen von bekannten Impressionisten gefälscht und dafür insgesamt 864.000 Dollar – und später vier Jahre – bekommen zu haben. Er war aufgeflogen anläßlich einer von ihm im Jahre 1969 in der Niveaie-Galerie, Madison Avenue, inszenierten Chagall-Ausstellung. Stein hatte nicht gewußt, daß Chagall sich zu dieser Zeit wegen einer Ausstellung im New Metropolitan Museum im Lincoln Center, wo zwei seiner berühmtesten Werke gezeigt wurden, in New York aufhielt. Als der Meister von der Ausstellung bei Niveaie erfuhr, erklärte er – außer sich vor Wut – bei der Bezirksstaatsanwaltschaft die Bilder als Fälschungen. Stein hatte einen der angeblichen Chagalls zum Preis von fast 100.000 Dollar an Louis D. Cohen verkauft, und bis zum heutigen Tag befinden sich ein Steinscher Chagall und ein Steinscher Picasso in der Galleria dell'Arte Moderna in Mailand. Jean-Pierre war der festen Überzeugung, daß Stein imstande sein würde, das, was er in der Vergangenheit in New York vollbracht hatte, in London zu wiederholen.
Stein malte weiterhin impressionistische Gemälde, signierte sie aber mit seinem eigenen Namen, und infolge seiner unbestrittenen Begabung konnte er immer noch gut davon leben. Er kannte und schätzte Jean-Pierre seit mehreren Jahren, und als er die Geschichte von Harvey Metcalfe und der Prospecta Oil hörte, erklärte er sich einverstanden, den van Gogh für 10.000 Dollar anzufertigen und das Gemälde mit des Meisters markantem ›Vincent‹ zu signieren.
Jean-Pierre hatte keine Mühe gescheut, einen van Gogh ausfindig zu machen, der unter mysteriösen Umständen verschwunden war und dem Stein zu einer Wiederauferstehung verhelfen könnte, um Harvey in Versuchung zu führen. Zunächst hatte er aus J.B. de la Failles umfassendem Katalog ›L'Œuvre de Vincent van Gogh‹ drei Bilder herausgesucht, die vor dem Zweiten Weltkrieg in der Nationalgalerie in Berlin
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