Es ist nicht alles Gold...
arbeiten.«
»Das stimmt, das kann man nicht. Aber
es gibt Tage, da denke ich, daß ich eigentlich arbeiten sollte. Und heute ist
so ein Tag. Wenn mich etwas so richtig niederdrückt, komme ich meistens
hierher.«
Ich hätte gern gewußt, was in den
vergangenen vierundzwanzig Stunden geschehen war, daß er so offen mit mir
sprach.
»Und das hilft?« fragte ich.
»Ja. Mir hat jemand einmal beigebracht,
wie bemhigend es ist, so in einem Museum zu sitzen, sich still zu halten und
die Gemälde bewußt zu sehen. Seitdem komme ich her, und es funktioniert immer.
Und hinterher sehe ich alles viel klarer.«
Er warf mir einen raschen Blick zu, als
wollte er sich vergewissern, daß ich ihn verstanden hatte.
Es hätte mich interessiert, ob der
»Jemand« eine Frau gewesen war. Als er nicht weitersprach, sagte ich:
»Jedenfalls besser als Valium.«
Er lachte, und dann saßen wir ein, zwei
Minuten schweigend nebeneinander. Von den Rembrandts hatte ich nicht so viel,
aber den Lieutenant sah ich eigentlich zum erstenmal. Seine Sensibilität war
mir eine angenehme Überraschung, und ich wollte sehr gern glauben, daß er ein
ehrlicher Polizeibeamter war. Aber wenn ich an Harmons Bemerkung über ihn
dachte, erwachte sofort wieder mein Mißtrauen. Ich wußte ja nicht, welcher Art
seine Beziehung zu Harmon tatsächlich war.
Vorsichtig bemerkte ich: »Ich habe
gestern abend mit Ben Harmon gesprochen. Sie wissen, der die Kautionen stellt.
Er behauptete, Sie hätten ihm gesagt, Sie ließen Hank und mich nur aus
Gutmütigkeit bei den Ermittlungen mitmachen.«
»Harmon?« Marcus sah mich überrascht
an. »Das ist ein harter Bursche. Kennen Sie den näher?«
»Nein.« Ich wartete, hoffte, er würde
etwas sagen, was meinem Argwohn den Boden entziehen würde.
»Unser Freund Harmon ist ein richtiger
Hans-Dampf-in-allen-Gassen, wie mir scheint«, bemerkte er.
»Wie meinen Sie das?«
»Wissen Sie noch, gestern, als Sie so
ärgerlich wurden, weil Sie glaubten, ich ließe Sie überwachen?«
Ich nickte.
»Ich sagte Ihnen doch, ich hätte meine
Quellen. Nun, in diesem Fall war Harmon die Quelle. Ich traf ihn zufällig im
Gerichtsgebäude, und da erzählte er mir, daß er Sie bei Cornish getroffen habe.
Er versuchte, mich über Ihre Rolle in der Sache auszuhorchen. Und da sagte ich
dann, ich ließe Ihnen nur aus Gutmütigkeit Ihren Willen. Ich wußte nicht,
welcher Art sein Interesse war, aber ich trau diesem Burschen nicht über den
Weg.«
»Ach, so war das.« Marcus war entweder
ehrlich oder ein abgefeimter Lügner. »Eigentlich ist es ganz gut, daß wir uns
hier getroffen haben. Ich habe Ihnen nämlich einiges zu erzählen.«
Ich berichtete ihm von dem verwüsteten
Laden, Harmons Angebot für die Grundstücke in der Salem Street, seinem
spätabendlichen Besuch bei van Osten und meiner wilden Flucht zum Cliff House.
»Das ist alles sehr interessant«,
meinte er, als ich schwieg. »Stecken Sie mich jetzt in die Damenkonfektion
zurück?« erkundigte ich mich.
»Wie? Ach, du lieber Gott, vergessen
Sie das. Mir geht oft mal der Gaul durch.«
»Ach, wie mir?«
Er lächelte beinahe schuldbewußt.
»Wissen Sie, ich hab gestern abend
Ihren Chef angerufen, um ihm die Meinung zu sagen. Sie hätten hören sollen, wie
er mir die Leviten gelesen hat! Daraufhin versuchte ich, Sie anzurufen und
Frieden zu schließen. Das muß um die Zeit gewesen sein, als Sie sich mit diesem
Frankie herumschlugen.«
»Was sagte Hank denn zu Ihnen?« fragte
ich.
Er schüttelte den Kopf. »Fragen Sie ihn
das selbst, wenn Sie es unbedingt wissen wollen.«
Und ob ich das wissen wollte! Diesen
Umschwung von ablehnender Feindseligkeit zu Freundlichkeit und Offenheit fand
ich ausgesprochen verwunderlich.
»Diese Verbindung zu van Osten«,
bemerkte er nachdenklich, »wirft ein ganz neues Licht auf meine ursprüngliche
Theorie.«
»Sie hatten Charlie Cornish in
Verdacht, nicht wahr?«
»Ja. Und ich habe ihn auch jetzt noch
in Verdacht.«
Auch ich hatte meine Vorbehalte gegen
ihn. Zwar verdächtigte ich ihn nicht des Mordes, aber da gab es doch seltsame
Heimlichkeiten.
»Warum?«
»Ich hatte von Anfang an den Eindruck,
daß Cornish etwas verheimlichte, deshalb ließ ich ihn überprüfen. Sie sagten,
er sei ein Mann ohne Vergangenheit, aber das stimmt nicht ganz.«
Ich spürte die Beklommenheit, die
schlechter Nachricht vorauszugehen pflegt. »Was hat er denn für eine
Vergangenheit?«
»Vor vierundzwanzig Jahren wurde Charlie
Cornish in seiner Heimatstadt
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