Es ist niemals vorbei
es so weit – nur einen Moment lang musste ich mich noch gedulden.
Doch dann tat Diego etwas, mit dem ich nicht gerechnet hatte. Er riss Ben herunter und drückte ihn wie einen Schild vor seine Brust.
Hinter mir eine Stimme, die dröhnte: «Los –
schieß ihm ins Bein
!»
Ich drückte ab. Der Knall hallte von den Wänden wider.
Diego sackte zusammen.
Und Ben,
mein Ben
, stürzte ins Nichts.
Nur noch ein Schritt, und ich wäre nahe genug gewesen, um ihn aufzufangen.
Nur dieser Schritt hatte gefehlt.
Ich hatte ihn nicht einmal fallen gehört.
Aber er musste gefallen sein.
Ich wusste, dass sich in diesem Augenblick mein Leben entschied, denn wenn Ben tot war, würde ich auch sterben oder nur noch als Schatten meiner selbst weiterleben.
Wie von Sinnen stürzte ich durch den Lichtstreifen und tauchte in das Dunkel.
Ich konnte mich nicht einmal mehr erinnern, ob ich tatsächlich geschossen hatte. Aber das musste ich wohl. Ich hatte
gesehen
, wie Diego Ben vor sich hielt,
gewusst
, dass meine Strategie versagt hatte – und dann einfach abgedrückt.
Und im nächsten Augenblick war alles zu Ende.
Ein dunkler Fleck inmitten des Schattengeflechts. Ich kroch darauf zu, voller Angst, Diego würde von seinem Pferd springen und mich stoppen. Ich kroch schneller.
«Ben? Ich komme.»
«Mommy.»
Es war, als rüttelte seine Stimme mich wach. Und dann sah ich ihn. In den Armen seines Vaters, der mit ihm auf dem Boden saß.
Ich verharrte. Blinzelte. Sah die beiden noch immer. Ben in Sicherheit. Mac, der zurück war.
Ich zog Ben an mich, spürte seinen warmen Körper und roch ihn. Mein Herz wurde weit und saugte das Wunder auf: Ben lebte. Ich hob ihn hoch und lief mit ihm zum Tor, noch immer voller Furcht, Diego könnte sich jeden Moment auf uns stürzen und Mac sei nur ein Traum gewesen.
«Karin!» Das war Macs Stimme. Jetzt erkannte ich es: Er hatte mir aufgetragen zu schießen. «Du bist in Sicherheit.»
Meine Beine blieben stehen, aber meine Gedanken rotierten weiter. Mein Blick glitt durch das Dämmerlicht. Diego lag zusammengesackt über dem orangeroten Pferd und hielt die Stange so fest umklammert, dass ich seine weißen Knöchel sah. Aus seinem Schenkel floss Blut.
«Er wird so schnell nirgendwo hingehen», sagte Mac.
Diego war schmutzig, bärtig, die blutunterlaufenen Augen gelblich verfärbt.
«Karin!» Die Stimme meiner Mutter, die mit Doug auf mich zugeeilt kam.
Die verschiedensten Gedanken rasten durch meinen Kopf und kollidierten.
Mac lebte.
Er war Anas Kartell entkommen und aus Mexiko geflohen.
Er war hier.
Ben lag in meinen Armen und war unversehrt.
Meiner Mutter ging es gut. Ebenso wie Doug.
Ich hatte Diego nicht getötet. Hatte meine Ehe nicht beendet.
«Was ist mit deinem Gesicht passiert?», fragte meine Mutter.
«Das war ein Ast.»
Plötzlich war Mac an meiner Seite und nahm Ben aus meinen zitternden Armen. «Das sieht nicht gut aus. Ich fahre dich ins Krankenhaus.»
Meine Nase fühlte sich an wie ein Ballon. Meine Mutter trat auf mich zu, hob die Hand, um meine Nase zu berühren, und überlegte es sich anders. «Kannst du überhaupt noch richtig sehen? Selbst deine Augen sind zugeschwollen, und du bist ganz grau im Gesicht.»
Ich hörte heulende Sirenen. Türen wurden geöffnet und zugeschlagen. Stimmen riefen sich etwas zu.
«Wie bist du hierhergekommen?», fragte ich Mac.
«Ach, das ist eine lange Geschichte.»
«Warst du etwa in dem Karton? Hast du die Adresse daraufgeschrieben?»
Mir wurde schwarz vor Augen. Das Nächste, was ich wahrnahm, war, dass ich angeschnallt auf einer Pritsche lag. In einem Rettungswagen. Mac saß neben mir und drückte mir mit sanfter Hand einen Eisbeutel auf die Nase.
«Wohin fahren wir?»
«Ganz ruhig, Karin. Wir sind auf dem Weg ins Krankenhaus.»
«Wo ist Ben?»
«Bei deiner Mutter. Den beiden geht es gut.»
«Was ist in Mexiko passiert?»
«Wie ich schon sagte, das ist eine lange Geschichte.»
«Aber ich will sie hören.»
«Wir wär’s, wenn wir uns jetzt erst einmal auf deine gebrochene Nase konzentrieren?»
«Woher weißt du, dass sie gebrochen ist?»
Wir sahen uns an und brachen in Gelächter aus. Sofort fing die Nase wieder an zu schmerzen. Ich verzog das Gesicht und schwieg.
Neunzehn
Billy hielt sein Versprechen. Sobald er die neuesten Nachrichten erfuhr, kam er aus Brooklyn, um uns abzuholen. Als ich mit einem Druckverband auf der Nase aus dem Krankenhaus entlassen wurde, war Billy schon im Schneepalast angekommen und
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