Es ist niemals vorbei
Billy.
«Jetzt warte doch. Ich rief Oscar in Mexiko vom Flughafen aus an, stellte ihm fünftausend Dollar in Aussicht und bat ihn, niemandem von dem Anruf zu erzählen. Eine Stunde später war er da.»
«Ja, hattest du denn so viel Geld bei dir?», fragte meine Mutter, ganz die Pragmatikerin.
Mac nickte. «Dafür hatte Jasmine gesorgt. Dann sagte ich Oscar, dass ich für die fünftausend Dollar wissen wolle, wo Diego sei. Und dass er noch einmal dieselbe Summe bekäme, falls er mir Anas Aufenthaltsort verriete und für sich behielte, dass ich wieder im Land war. Oscar entschied sich für das Geld, sagte mir, was ich wissen wollte, und ich stieg in seinen Wagen.»
«Ich weiß nicht, ob ich das getan hätte», sagte Billy.
«Warum denn nicht? Eine Hand wäscht die andere. So läuft das nun mal da unten.»
«Wohin hat er dich gebracht?», fragte ich.
«Nach etwa zwanzig Minuten hielten wir vor so einer Art Hütte – aus Baumstämmen, mit Schilfdach – und gingen hinein. Ich nahm an, dass ich dort auf Diego treffen würde.»
Hinter mir pfiff der Teekessel. Meine Mutter stand auf.
«In der Hütte saß Ana auf dem einzigen Sessel, wie eine Königin auf ihrem Thron. Ein paar ihrer Männer standen bei ihr. Ich dachte, ich traue meinen Augen nicht, und hätte Oscar am liebsten erwürgt. Der Typ hatte mich um fünftausend Dollar erleichtert und in eine Falle gelockt! Ana musterte mich und erklärte ganz ruhig: ‹Du hast mich enttäuscht.› Ihre Gelassenheit war unheimlich. Keine Spur von Zorn, nicht einmal eine Gefühlsregung. Sie wusste, dass Felix tot war. Wenigstens sei Diego gesund zu ihr zurückgekehrt, sagte sie. Ich entgegnete, ich würde nie zulassen, dass meinem Sohn etwas zustieße. Daraufhin lächelte sie, aber es war ein grausames Lächeln, als glaubte sie mir kein Wort oder als sei ihr einerlei, was ich sagte. Dann ließ sie die Bombe platzen. ‹Ich weiß, dass du für deine Regierung arbeitest.› Einfach so. Sie wusste Bescheid, und ich war geliefert. Anschließend trug sie Oscar auf, mich zu dem ‹Diamantenloch› zu schaffen. So fand ich heraus, dass sie mehr als eine dieser Höhlen hatte, wahrscheinlich viele über das ganze Land verteilt, für alle Fälle.»
«Die Höhle, in der ich war, werde ich nie vergessen.» Schaudernd dachte ich an das dunkle, feuchte Loch zurück. Aber beim Wort «Diamanten» zuckte etwas durch meinen Kopf. Die Kette, die ich nie gefunden hatte! Wem hatte Mac sie geschenkt? Doch dann schob ich meine kleinliche Eifersucht beiseite. Welche Rolle spielte schon eine Kette angesichts des Dramas, das wir erlebt hatten?
«Mit der Waffe im Anschlag führte Oscar mich aus der Hütte. Dann fuhren er und einer der anderen mich zu einer verlassenen Diamantengrube, die Ana gehörte. Normalerweise sind diese Gruben riesig, aber diese war eher klein, so als hätte man ein wenig gegraben und dann eingesehen, dass da nichts zu holen war. Oscar öffnete eine Bodenluke, und ich sah, dass darin schon jemand saß. Dann stieß er mich in das Loch. Derjenige, der in der Höhle hauste, schob mich fort, als wolle er seinen Platz behaupten oder als hätte er Angst. Und so hockte ich da in der Dunkelheit und wusste weder aus noch ein.» Mac holte tief Luft und seufzte. «Anfangs schwiegen wir, doch dann sagte er etwas auf Spanisch, und ich erkannte seine Stimme. Es war Diego.»
«Mein Gott», murmelte meine Mutter. «Da hast du ihn gefunden.» Sie schenkte Mac und Billy Tee ein und setzte sich wieder zu uns.
«Er war geprügelt worden, und ich konnte riechen, dass sich eine seiner Wunden infiziert hatte. Meine Kleidung war noch sauber, deshalb riss ich den Ärmel meines Hemdes ab und benutzte ihn als Bandage. Diego war in schrecklicher Verfassung, erschöpft und desorientiert. Ich dachte, er würde sterben.»
Für den Bruchteil einer Sekunde wünschte ich, Mac hätte Diego in jenem Loch sterben lassen. Doch dann riss ich mich zusammen.
«Diego wusste, dass ich ein Spitzel war. Ana hatte es ihm gesagt, ehe sie ihn in diese Grube werfen ließ. Er sollte wissen, was er für ein Narr gewesen war, als er Karin und mich laufenließ und sie hinterging.»
«Den eigenen Sohn», sagte meine Mutter. «Diese Frau hat kein Herz.»
«Ich war ihr letztes Geschenk für Diego. Der Junge hatte gar keine andere Möglichkeit, als mich zu hassen. Eigentlich bestand er nur aus Hass – auf mich, sich, seine Mutter und auf Karin. Ich habe noch nie jemanden getroffen, der so durch und durch einsam war wie
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