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Es klopft

Es klopft

Titel: Es klopft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Hohler
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vertretbar.
    »Und, wie war’s?« fragte Julia.
    »Wunderschön.«
    »Möchtest du noch etwas frühstücken?«
    Das Morgenglück nahm kein Ende. Er setzte sich also an
den Küchentisch und wurde mit einem zweiten Kaffee und Puschlaver Roggenbrot für eine Leistung belohnt, zu der ihn niemand und nichts verpflichtet hatte, kein Praxisstundenplan, keine Patienten, keine Notfälle.
    »Du solltest das auch mal machen«, sagte Manuel.
    Julia lächelte.
    »Sicher nicht dieses Jahr.«
    Sie fühlte sich, seit sie nach Mirjams Geburt ihr Schulpensum wieder aufgenommen hatte, manchmal so müde, dass sie zweifelte, ob sie je wieder zu ihrer früheren Frische zurückfinden würde. Mirjam war nachts oft unruhig und weckte dadurch ihren Bruder, der im selben Zimmer schlief und nachher weniger gut wieder einschlafen konnte als die Einjährige, und häufig ging die Nacht so aus, dass Thomas zwischen Manuel und ihr im Bett lag, wenn sie erwachten. Erziehungsstandpunkte wurden ihr entgegengehalten, wenn sie die Rede darauf brachte, das sei falsch, mahnte sie ihre Mutter, der Kleine werde zu sehr verwöhnt damit. Tatsächlich konnte sich Julia nicht daran erinnern, dass sie als Kind je bei ihren Eltern im Bett gelegen hatte. Aber eigentlich bedauerte sie das, denn es passte zum Mangel an Zärtlichkeit, der ihre ganze Kinderzeit durchzogen hatte.
    Und eine ältere Kollegin mit drei Kindern hatte ihr, als sie einmal mit ihr darüber sprach, gesagt, das sei dummes Zeug, sie solle sich doch freuen darüber, diese Zeit gehe nur zu schnell vorbei, und dann kämen die Kinder nicht mehr. Damit hatte sich Julia zufrieden gegeben. Manuel schlief, wenn er einmal eingeschlummert war, wie ein Stein, sie mochte ihn auch nicht wecken nachts, wollte ihn schonen, damit er seinem Praxisbetrieb gewachsen war, doch sie selbst konnte
auch nicht halbe Nächte lang neben Thomas’ Bettchen sitzen und ihn beruhigend streicheln.
    Manuel hatte schon vorgeschlagen, sie sollten ein Au-pair-Mädchen suchen, wie es andere Doppelverdienerpaare auch taten, aber Julia konnte sich nicht dafür erwärmen, sie hatte den Verdacht, sich damit noch ein drittes Kind aufzuhalsen, die waren ja alle sehr jung, und man konnte nicht im Ernst von ihnen verlangen, dass sie nachts um ein Uhr aufstanden, um einem heulenden Kind beizustehen, von dem man gewöhnlich nicht einmal wusste, warum es heulte.
    So hatten sie sich mit Babysittern beholfen, wenn sie abends ausgehen wollten, Barbara, die Tochter einer Nachbarsfamilie, kam gerne, sie ging noch zur Schule und wollte Kindergärtnerin werden. Ganz ruhig war Julia allerdings nie. Einmal, als sie nach Hause kamen, saß Barbara verzweifelt im Wohnzimmer, mit Thomas auf den Knien, der mit blau angelaufenem Gesicht keuchte und hustete. Es war sein erster Pseudokruppanfall, Manuel war damals so erschrocken, dass er alles vergaß, was er darüber wusste, und einen Kollegen anrief, der Kinderarzt war. Der empfahl ihm, den Kleinen heiße Dämpfe inhalieren zu lassen, sie gingen mit ihm ins Badezimmer und ließen so lange heißes Wasser in die Wanne laufen, bis ein Saunanebel durch den Raum waberte, und tatsächlich atmete Thomas nachher wieder ruhiger.
    Der nächste Anfall ereignete sich dann bei Julias Mutter, welcher Manuel für diese Fälle ein krampflösendes Zäpfchen mitgegeben hatte, aber sie sagte ihnen am andern Tag, sie habe Thomas einen Löffel mit geschmolzener Butter und Zucker gegeben, das habe schon bei Julia und deren Bruder geholfen und habe auch bei Thomas gewirkt. Manuel hatte
sich etwas geärgert darüber, denn er misstraute den barfußmedizinischen Hausrezepten. Als er aber einmal spät nach Hause kam, fand er Julia mit Thomas in der Küche, und sie erzählte ihm lächelnd, dass sie soeben einen Pseudokrupp mit einem Löffel geschmolzener Butter und Zucker zum Erliegen gebracht habe. Manuel war irritiert, weil er sich nicht vorstellen konnte, was die heilende Wirkung von heißer Butter in Kombination mit Zucker ausmachte, aber als Julia fragte, was ihm wichtiger sei, ob es seinem Kind gut gehe oder ob er verstehe, warum es seinem Kind gut gehe, gab er sich geschlagen.
    »Wir wollten doch picknicken gehen«, sagte Julia, »magst du noch?«
    »Natürlich«, sagte Manuel.
    Eine Stunde später waren sie als Darsteller einer glücklichen Familie ins Val Roseg unterwegs, Mirjam im Traggestell auf Julias Rücken, Thomas abwechselnd im Buggy, den Manuel stieß, oder davor, ihn selbst stoßend, oder auf Manuels Schultern. Sie

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