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Es klopft

Es klopft

Titel: Es klopft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Hohler
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Nachttischchens griff, hatte er gemerkt, dass keine Kondome mehr da waren.
    Nun lagen sie nebeneinander unter der Decke, Anna bettete ihren Kopf auf seine Schulter und schaute auf das Poster des Planeten Erde an der Wand vor ihr, das im Kerzenlicht noch größer schien als bei Tage.
    »Ein würdiges Ende eines schönen Sonntags«, sagte sie und lachte.
    Thomas schnurrte wie ein Kater.
    »Du warst eine wunderbare Sonntagsfrau.«
    »Achtung«, sagte sie, »gleich wird’s Montag.«
    »Egal«, sagte er, »ich bin ein Sonntagskind.«
    »Ehrlich?«
    »Ja. Und du?«
    »Weiß ich gar nicht. Hab meine Mutter nie gefragt.«
    »Du kannst nur ein Sonntagskind sein.«

    »Ach was, ich bin eher ein Montagsmodell.«
    »Ein Sonntagskind, glaub mir. Deine Mutter hat bestimmt drauf geachtet.«
    »Als ob man das könnte.«
    »Warum nicht? Meine Mutter behauptet, sie habe mich zurückgehalten bis nach Mitternacht.«
    »Wann bist du denn zur Welt gekommen?«
    »Zehn nach zwölf, Sonntag früh.«
    Anna lachte. »Da haben wir’s. Ein Nachtmensch. Hat sie gut gemacht, deine Mutter. Überhaupt«, fuhr sie dann fort, »feine Eltern hast du, sie sind irgendwie gut drauf, beide.«
    »Doch«, sagte Thomas, »wir hatten’s eigentlich immer ganz friedlich zusammen.«
    »Nie große Kräche? Wegen Kleidern, Ausgang, Mädchen, Schule, Geld?«
    »Es geht«, sagte Thomas und merkte, dass es ihm fast etwas unangenehm war. Lieber hätte er jetzt von einem tiefgreifenden Zerwürfnis mit dem Elternhaus gesprochen, das ihn schon immer zum großen Einsamen gemacht habe.
    Aber seine Kindheit war von allem Schweren verschont geblieben. Endlose Nachmittage tauchten in seiner Erinnerung auf, an denen er mit Mirjam im Garten gespielt hatte, ich wäre der Vater und du wärst die Mutter und der Panda der Bub und die Puppe das Mädchen, der Panda war faul und gefräßig, die Puppe fleißig und eitel, und später hatten sie Softball gespielt auf der Fläche des Garagendaches, nicht gegeneinander, sondern miteinander, wie lange können wir den Ball hin und her schlagen, ohne dass er runterfällt, er hatte ein Büchlein geführt mit den Resultaten, der Rekord war irgendwo bei 800, und dann war er zu den Pfadfindern
gegangen, wo sie Schnitzeljagden gemacht hatten und Postenläufe und Lagerfeuer im Erlenbacher Tobel, in der Schule hatte er keine Mühe gehabt, war auch leicht ins Gymnasium in Zürich gekommen, Rämibühl, sprachlich-literarische Richtung, mit Latein, und jeden Winter ging’s zum Skifahren und Snowboarden nach Pontresina in die Wohnung, die seine Eltern gekauft hatten, auch das Haus in Erlenbach gehörte ihnen, und als einmal die Rede davon war, ob sie sich in Feldmeilen ein Grundstück erwerben sollten, um darauf zu bauen, verteidigten sowohl er wie auch Mirjam ihr Haus mit dem Türmchen, das ihnen beiden so gut gefiel. Über dem obersten Erkerzimmer, in dem der Vater sein Büro hatte, gab es noch einen kleinen Estrichraum unter der Schräge des Turmdaches, mit Fensterluken auf den Zürichsee, und das war ein Lieblingsort von Thomas, besonders bei aufziehenden Gewittern, wenn sich die Wolken schwarz und mächtig über dem andern Ufer blähten wie der Geist in der Flasche und unten an den Seeufern die ängstlichen orangen Lichter der Sturmwarnung blinkten und dann die ersten Blitze zuckten und sich das Donnergrollen über den See schob, dann saß Thomas gerne dort oben auf einem alten Überseekoffer und schaute zum Fenster hinaus.
    »Hattest du denn Krach mit deiner Mutter?« fragte Thomas.
    »Furchtbar«, sagte Anna.
    »Worüber?«
    »Über alles. Ich glaube, wir passten nicht zusammen. Sie war mir zu ausgeflippt. Arbeitete unregelmäßig, telefonierte stundenlang mit Freundinnen, statt mir bei den Aufgaben zu helfen, ließ das Geschirr stehen, ließ die Wäsche liegen, war
eine schöne und attraktive Frau, brachte auch gelegentlich Verehrer nach Hause, von denen aber keiner blieb. Die Spie-ßige war ich. Eigentlich war ich die Mutter und sie die Tochter, und ich fing schon bald an, sie zu kritisieren, und das ertrug sie schlecht.«
    Anna erinnerte sich, wie sie einmal, als sie nachts erwacht war und zur Mutter wollte, einen fremden Mantel im Gang hängen sah und es aus dem Schlafzimmer stöhnen hörte. Da schrieb sie auf ein Blatt Papier: »Mami muss mit mir schmusen, nicht mir dir, du Aff«, und legte es auf die Schuhe unter dem Mantel. »Mir« hatte sie rot unterstrichen. Ihre Mutter hatte ihr dann vorgeworfen, der Mann sei nur wegen ihr nicht mehr

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