Es klopft
erreichte und gleichzeitig die Sonne aufging.
Er hätte laut schreien mögen, aufspringen, tanzen wie ein Verrückter vor Dankbarkeit. Statt dessen lächelte er und sagte: »Nicht? Wäre ja auch ein Zufall gewesen.«
»Ein Zufall ist es trotzdem«, sagte Anna, »es ist meine Tante.«
Ein Sturmwind erhob sich in Manuels Ohr. Vor seinen
Augen wurde es Nacht. Er setzte sich auf den Schreibtisch und hielt sich mit den Händen an den Kanten. »Ihre Tante?« fragte er fast ohne Stimme.
»Ja, die Schwester meiner Mutter. Und das Kind ist meine Cousine.«
Manuel klammerte sich an den Tisch. Er wusste, dass er den Faden einer normalen Konversation nicht verlieren durfte. »Wie heißt es?« fragte er.
»Manuela.«
Weitersprechen, sagte sich Manuel, immer weitersprechen.
»Und kennen Sie sie - ich meine … haben Sie Kontakt mit den beiden?«
Anna lachte. »Wir sagen doch du, nicht?«
Manuel nickte und machte eine fahrig entschuldigende Geste.
»Natürlich kenne ich sie. Kontakt habe ich zwar nicht allzuviel. Tante Monika hat vor etwa zehn Jahren einen Diplomaten geheiratet, der jetzt in Washington ist. Manuela besucht dort die Uni, ich glaube, Soziologie.«
Der Sturmwind ebbte etwas ab. Eine kleine Aufhellung. Wenigstens waren sie weit weg, beide. Weitersprechen, Manuel, weitersprechen, und locker!
»Wie hieß sie schon wieder, deine Tante?«
»Fuchs. Damals. Jetzt heißt sie Beck.«
»Ah, richtig … Fuchs, Eva Fuchs.«
»Nein, Monika. Was fehlte ihr denn, als du ihr geholfen hast?«
Nun wurde Anna neugierig.
Manuel erschrak. Die Lüge hatte sich sofort gerächt.
»Ich, eehm … ich glaube, ich sollte mich an das Arztgeheimnis halten.«
Gerettet.
»Klar, schon gut - ich kann sie ja selbst fragen.« Anna lachte. »Die wird sich wundern.«
Achtung, Manuel, das musst du verhindern. Die darf sich nicht wundern. Bloß - wie soll das gehen? Eben erst befreit, saß er schon wieder in der Falle. Er sah keinen andern Weg, als direkt zu werden.
»Anna«, sagte er heftig aufatmend, »ich habe eine Bitte.«
Anna gab ihm das Foto zurück, setzte sich und schaute ihn an.
Manuel setzte sich ebenfalls. »Es wäre mir lieber, du würdest deiner Tante nichts erzählen.«
»Ah ja?«
»Ja. Es ist … es ist jetzt etwas zu schwierig zu erklären, aber ich bitte dich einfach darum.«
Anna war erstaunt. Aus der Autorität Dr. Ritter war unvermutet ein Bittsteller geworden, der etwas eingesunken vor ihr saß.
»Gut, wenn du meinst …«
»Das meine ich wirklich, Anna. Und es wäre mir auch recht, wenn du es Thomas und meiner Frau gegenüber nicht erwähnen würdest.«
Anna verstand immer weniger.
»Also, dass du einmal Tante Monika behandelt hast?«
»Ja. Bitte.«
»Dann hätten wir so etwas wie ein Geheimnis zusammen?«
»Nicht direkt. Es soll einfach unter uns bleiben.«
»Aber - wieso genau?«
Wie gesagt, das könne er ihr jetzt nicht alles erklären, er wäre einfach froh, wenn sie es vorderhand so halten könnte.
Sie werde es versuchen, sagte Anna und blickte auf ihre Füße, obwohl sie eigentlich Thomas gegenüber ungern Geheimnisse habe.
»Bitte«, sagte Manuel, und es schien ihr auf einmal, in seinem Blick habe sich Angst eingenistet.
Anna ging, nachdem sie die Praxis verlassen hatte, zu Fuß vom Zürichberg in die Stadt hinunter, um die Schauspielschule zu erreichen. Regelmäßig und genügend solle sie sich bewegen, so der Rat ihrer Gynäkologin.
Das Gespräch hatte sie verwirrt. Sein eigentlicher Gegenstand war nicht die Frage gewesen, ob sie das Kind behalten oder abtreiben solle; das Gespräch darüber war überhaupt nicht so verlaufen wie in der improvisierten Szene mit Mirjam, offenbar respektierte Manuel ihren Entscheid. Das hing sicher auch mit der klaren Haltung von Thomas zusammen. Dieser hatte sein Praktikum in Mexiko abgesagt; er hatte mit seinem Tessiner Kollegen gesprochen, und der hatte nun die Gelegenheit doch benutzt, nach Mexiko zu kommen, während sich Thomas vier Monate lang mit den Kastanienbäumen des Maggiatals beschäftigen würde. Seine Mutter hatte ihm bereits einen Schnellkurs in Italienisch angeboten.
Was sie noch nicht wussten, war, ob sie heiraten wollten. Damit eilte es weder ihr noch Thomas. Aber zusammenbleiben, das wollten sie, und das war die Hauptsache. Anna würde keine Alleinerziehende werden.
Sie kam an der Universität vorbei und bog in den Rechberg-Park hinter der Musikhochschule ein, einen terrassierten,
stets gepflegten Garten mit alten Brunnen,
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