Es muß nicht immer Kaviar sein
vorgestellt.
»Sie wollen nicht reden?«
»Nein.«
»Bei uns redet jeder!« Auf einmal war die leutselige Gutmütigkeit, auf einmal war das Grinsen von Eichers Gesicht weggewischt. Seine Stimme klang heiser: »Sie Scheißkerl, Sie kleiner! Habe mich schon viel zu lange unterhalten mit Ihnen!« Er stand auf, wippte in den Knien, warf die Zigarre in den Kamin und sagte zu Winter: »Los, macht ihn fertig.«
Winter führte Thomas in einen überheizten Keller hinab. Hier rief er nach zwei Männern in Zivil. Sie banden Thomas am Kessel der Zentralheizung fest. Dann machten sie ihn fertig.
So ging das drei Tage hintereinander. Omnibusfahrt von Frèsnes nach Paris. Verhör. Fertigmachen im Keller. Fahrt zurück in die ungeheizte Zelle.
Das erstemal begingen sie den Fehler, ihn zu schnell und zu brutal zu schlagen. Thomas wurde ohnmächtig.
Das zweitemal begingen sie diesen Fehler nicht mehr. Und auch nicht das drittemal. Nach dem drittenmal fehlten Thomas zwei Zähne, der Körper war an vielen Stellen wund geschlagen. Nach dem drittenmal wurde er für zwei Wochen ins Krankenhaus von Frèsnes gelegt.
Dann fing das Ganze von vorne an.
Als der Bus ohne Fenster ihn am 12. Dezember wieder einmal nach Paris brachte, da war Thomas Lieven am Ende. Er konnte es nicht mehr ertragen, gequält zu werden. Er dachte: Ich springe aus dem Fenster. Eicher verhört mich jetzt immer oben im dritten Stock. Ja, ich springe aus dem Fenster. Wenn ich Glück habe, bin ich tot. Ach, Chantal, ach, Bastian, ich hätte euch so gern wiedergesehen …
Thomas Lieven wurde gegen zehn Uhr am 12. Dezember 1942 in das Büro von Herrn Eicher geführt. Ein Mann, den Thomas noch nie gesehen hatte, stand neben dem Sturmbannführer: groß, hager, weißhaarig. Der Mann trug die Uniform eines Obersten der Deutschen Wehrmacht mit vielen Ordensspangen und unter dem Arm einen umfangreichen Aktendeckel, auf dem Thomas Lieven das Wort GEKADOS entziffern konnte.
Eicher machte einen verärgerten Eindruck.
»Das ist der Mann, Herr Oberst«, sagte er mürrisch und hustete.
»Ich werde ihn gleich mitnehmen«, sagte der Oberst mit den vielen Auszeichnungen.
»Da es eine ›Gekados‹ ist, kann ich Sie nicht daran hindern, Herr Oberst. Bitte quittieren Sie die Übernahme.«
Um Thomas Lieven begann sich alles zu drehen, der Raum, die Männer, alles. Er stand schwankend da in seinem elenden Gefangenenanzug. Er taumelte und würgte und rang nach Luft und dachte an die Worte, die er einmal in einem Buch des Philosophen Bertrand Russell gelesen hatte: »In unserem Jahrhundert geschieht nur noch das Unvorhergesehene …«
2
Die Hände gefesselt, saß Thomas Lieven neben dem weißhaarigen Oberst in einer Wehrmachtslimousine. Sie fuhren durch die Pariser City, die sich seit den Tagen des Friedens kaum verändert hatte. Frankreich schien die Okkupation zu ignorieren. Die Straßen waren erfüllt von hektischem Leben. Elegante Frauen, eilige Männer sah Thomas Lieven, und zwischen ihnen, seltsam unbeholfen und verloren, deutsche Landser.
Der Oberst schwieg, bis sie den Villenvorort Saint-Cloud erreicht hatten, dann sagte er: »Ich höre, Sie kochen gerne, Herr Lieven.«
Mit seinem richtigen Namen angeredet, erstarrte Thomas. Überreizt und übermißtrauisch geworden durch die Torturen der letzten Wochen, arbeitete sein Gehirn.
Was bedeutet das? Was ist das für eine neue Falle? Er sah den Offizier neben sich von der Seite an. Gutes Gesicht. Klug und skeptisch. Buschige Brauen. Adlernase. Sensibler Mund. Na und? In meinem Vaterland spielen viele Mörder Bach!
Thomas Lieven sagte: »Ich weiß nicht, wovon Sie reden.«
»Doch, doch, Sie wissen es«, sagte der Offizier. »Ich bin Oberst Werthe von der militärischen Abwehr Paris. Ich kann Ihnen das Leben retten – oder nicht, es hängt allein von Ihnen ab.«
Und damit hielt der Wagen vor einer hohen Mauer, die ein großes Grundstück umgab.
Der Fahrer hupte dreimal. Ein schweres Tor öffnete sich, ohne daß ein Mensch sichtbar wurde. Der Wagen fuhr an und hielt wieder vor der kiesbestreuten Auffahrt zu einer Villa mit gelben Mauern, französischen Fenstern und grünen Fensterläden.
»Heben Sie Ihre Hände«, sagte der Oberst, der sich Werthe nannte.
»Warum?«
»Damit ich Ihnen die Handschellen abnehmen kann. Mit den Schellen können Sie doch wohl nicht kochen. Ich würde gerne Kalbsschnitzel Cordon bleu essen, wenn es Ihnen recht ist. Und Crêpes Suzette. Ich bringe Sie in die Küche. Nanette, das Mädchen,
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