Es muß nicht immer Kaviar sein
später war Emile Mallot aus Grenoble wieder bei Sinnen. Er saß auf einem Sessel vor Chantals Bett. François und Bastian standen neben ihm. Chantal lag im Bett und fächelte sich mit riesigen Franc-Bündeln Kühlung zu.
Mit belegter Stimme sprach Mallot aus Grenoble: »Sie – sie haben ihn nach Norden gebracht. In der Nacht noch. Nach Chalon-sur-Saône, an die Demarkationslinie. Da hat ihn dann die Gestapo … Nicht!« brüllte er gellend auf, denn Bastian hatte ihn hochgerissen und ins Gesicht geschlagen.
»Bastian!« schrie Chantal. Totenbleich war ihr Gesicht, nur die fiebrigen Augen lebten: »Laß ihn in Ruhe … Ich muß wissen, wer hinter dieser Sauerei steckt …« Sie schrie Mallot an: »Wer?«
Mallot wimmerte: »Die – ›Die Glatze‹!«
»Dantes Villeforte?«
»Ja, er hat uns den Auftrag gegeben … Dieser Hunebelle war ihm zu gefährlich … Er wollte ihn los sein …« Mallot holte Luft. »Ihr habt ›Die Glatze‹ in der letzten Zeit übers Ohr gehauen, wie? Na also. Das ist seine Rache …«
Tränen liefen über Chantals Gesicht. Sie schluckte zweimal, bevor sie sprechen konnte. Dann klang ihre Stimme wieder kalt, gefährlich und befehlsgewohnt: »Nimm die Penunzen, Mallot. Hau ab! Aber sag der ›Glatze‹, das war das Ende. Kein Erbarmen mehr jetzt. Für das, was er getan hat, lege ich ihn um. Er soll sich verstecken, wo er will. Ich werde ihn finden, das schwöre ich. Und ich lege ihn um.«
Chantal war es ernst mit diesem Schwur. Doch zunächst überstürzten sich die Ereignisse, die Chantal und ihre Organisation vor andere Probleme stellten.
Am 8. November 1942 gab das Kriegsdepartement der Vereinigten Staaten bekannt:
Amerikanische und britische Armee-, Marine- und Luftstreitkräfte haben in den Stunden der Dunkelheit Landungsoperationen an zahlreichen Stellen der Küste von Französisch-Nordafrika begonnen. Generalleutnant Eisenhower ist der Oberkommandierende der alliierten Streitkräfte.
Und am 11. November gab das Oberkommando der Wehrmacht bekannt:
Deutsche Truppen haben heute früh zum Schutze des französischen Territoriums gegen die bevorstehenden amerikanisch-britischen Landungsunternehmen in Südfrankreich die Demarkationslinie zum unbesetzten Frankreich überschritten. Die Bewegungen der deutschen Truppen verlaufen planmäßig …
3. Kapitel
1
Das Zentralgefängnis von Frèsnes lag achtzehn Kilometer vor Paris. Hohe Mauern umgaben den schmutzigen mittelalterlichen Bau, der in drei Haupttrakte mit zahlreichen Nebenflügeln aufgegliedert war. Einsam und massig stand das Gefängnis in einer trostlosen Ebene mit verkrüppelten Bäumen, verfaulenden Wiesen und ungepflügten Äckern.
Im ersten Trakt saßen deutsche Gefangene, politische und Deserteure. Im zweiten Trakt saßen französische und deutsche Widerstandskämpfer. Im dritten Trakt saßen nur Franzosen.
Das Gefängnis von Frèsnes wurde von einem deutschen Hauptmann der Reserve geleitet. Das Personal war gemischt. Es gab französische Wärter und deutsche – durchweg ältere Unteroffiziere aus Bayern, Sachsen und Thüringen.
Im Flügel C von Trakt I gab es nur deutsche Wärter. Dieser Flügel C war für den SD Paris reserviert. Tag und Nacht brannte hier das elektrische Licht in den Einzelzellen. Niemals durften die Gefangenen zum Spaziergang in den Hof geführt werden. Die Gestapo hatte eine einfache Methode gefunden, ihre Gefangenen unerreichbar für jede noch so mächtige Behörde werden zu lassen: Die Insassen des Flügels C wurden in den Büchern einfach nicht geführt. Es waren tote Seelen, sie existierten praktisch schon nicht mehr …
Reglos saß in den Morgenstunden des 12. November ein junger Mann mit schmalem Gesicht und klugen schwarzen Augen auf seiner Pritsche in Zelle 67 des Flügels C. Thomas Lieven sah elend aus. Grau war seine Haut, eingefallen waren seine Wangen. Er trug einen alten Sträflingsanzug. Der Anzug war ihm viel zu groß. Thomas fror. Die Zellen waren unbeheizt.
Über sieben Wochen saß er nun in dieser scheußlichen, stinkenden Zelle. In der Nacht vom 17. zum 18. September hatten ihn seine Entführer bei Chalon-sur-Saône zwei Gestapo-Agenten übergeben. Diese hatten ihn nach Frèsnes gebracht. Und seither wartete er darauf, daß jemand kam, um ihn zu verhören. Er wartete umsonst. Das Warten fing an, ihn um seine Fassung zu bringen.
Thomas hatte versucht, Kontakt mit den deutschen Wachen aufzunehmen – umsonst. Er hatte mit Charme und Bestechung versucht,
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