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Es muß nicht immer Kaviar sein

Es muß nicht immer Kaviar sein

Titel: Es muß nicht immer Kaviar sein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johannes Mario Simmel
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in einer uralten, klapprigen Ju-52 auf. In zweihundert Meter Höhe flog die Maschine über das Absprunggelände. An Reißleinen aufgefädelt, standen die zwölf im Rumpf der Maschine hintereinander. Das Boschhorn des Piloten ertönte. »Fertigmachen zum Absprung!« brüllte Bieselang, der im Windschatten der offenen Luke stand. Sie trugen jetzt alle Stahlhelme, die beiden Inder trugen sie unter den Turbanen. Sie hielten alle schwere Maschinenpistolen in den Händen.
    Nummer eins war der Italiener. Er trat vor. Bieselang schlug ihm auf die Schulter, der Mann breitete weit die Arme aus und sprang in Richtung auf die linke Tragfläche zu ins Leere hinaus. Die Leine, die an einer Stahlschiene eingehakt war, spannte sich und riß dem Springenden den Schutzüberzug vom Fallschirm. In der Luft wurde der Italiener sofort nach unten und hinten weggerissen.
    Nummer zwei sprang. Nummer drei. Thomas dachte: Wie trocken meine Lippen sind. Ob ich in der Luft ohnmächtig werde? Ob ich zu Tode falle? Komisch, ich habe plötzlich so fürchterlichen Appetit auf Gänseleber. Ach, warum konnte ich nicht bei Chantal bleiben. Wir waren so glücklich miteinander …
    Dann war Nummer sechs an der Reihe – der Ukrainer. Der Ukrainer wich plötzlich vor Bieselang zurück, stieß gegen Thomas und kreischte in jäher Panik: »Nein – nein – nein …«
    Angstkoller. Typischer Angstkoller. Nicht unverständlich, registrierte Thomas Lievens Gehirn. Niemand durfte gezwungen werden zu springen – so lautete die Ausbildungsvorschrift. Wenn jemand bei zwei Flügen den Absprung verweigerte, schied er endgültig aus.
    Allein, Feldwebel Adolf Bieselang kümmerte sich einen Dreck um Vorschriften. Er brüllte: »Du Scheißhund, du feige Sau, wirst du wohl …«, packte den Zitternden, riß ihn zu sich – und trat ihn wuchtig in den Hintern. Aufkreischend flog der Ukrainer hinaus.
    Ehe Thomas sich noch von der Empörung über diese Szene erholt hatte, fühlte er sich schon selbst vorgerissen. Der Stiefel des Feldwebels traf auch ihn, und er stürzte, stürzte, stürzte hinein ins Leere.
    5
    Thomas überstand den ersten Fallschirmabsprung seines Lebens heil. Auch alle anderen landeten unbeschadet. Nur der Ukrainer brach sich das Bein. Mit der Fraktur und einem Nervenschock wurde er ins Lazarett gebracht. An diesem Nachmittag – sie übten in einer Hangarhalle das Schirmpacken – ging ein Raunen und Flüstern durch die Gruppe.
    Für einen Gemeinschaftsmord plädierte leidenschaftlich der Norweger. Bieselang schlief in einem Extrazimmer, abseits der Gemeinschaftsstuben. Er schlief tief …
    Die Deutschen waren dafür, sich beim Horstkommandanten zu beschweren und den Dienst zu verweigern.
    Der Italiener und die Inder waren dafür, Bieselang nicht ganz, aber doch halb totzuschlagen. Alle Mann hoch, dann konnte kein einzelner bestraft werden.
    Es erwies sich, daß das Lagerleben, das er so haßte, sprachlich bereits auf Thomas Lieven abgefärbt hatte. »Euch hat man ja das Gehirn verwässert«, sagte er in einer Zigarettenpause zu den Verschwörern. »Wißt ihr, was passiert? Bieselang wird befördert, und wir kommen in den Bunker – alle Mann hoch.«
    Der Norweger knirschte mit den Zähnen vor Wut: »Aber der Hund – der verfluchte Hund … Was sollen wir denn machen mit ihm?«
    »Darüber habe ich auch schon nachgedacht«, antwortete Thomas sanft. »Wir werden ihn zu einem Essen einladen.«
    Von diesem Essen am 26. Februar 1943 spricht man im Hause des Gastwirts Friedrich Ohnesorge in Wittstock noch heute. Elfriede Bieselang, des Feldwebels bildhübsches Töchterlein, arbeitete als Kellnerin bei Ohnesorge.
    In einem Krämerladen hatte Thomas verschiedene Kleinigkeiten entdeckt, die er unbedingt benötigte: getrocknete Pilze, Korinthen, Rosinen, ein Stück Orangeat und ein Stück Zitronat.
    Während die blonde Elfriede ihm half, das Rindsfilet zuzubereiten, schimpfte sie auf ihren väterlichen Urheber: »Ist die Mühe gar nicht wert, der alte Miesnick! So ’n widerlicher blöder Krieger! Dauernd quatscht er einem seine Heldentaten vor. Die andern sind immer Feiglinge. Und er selber natürlich immer ein Held!«
    »Elfriede«, forschte Thomas und wässerte dabei behutsam die Orangeat- und Zitronatstückchen, »sagen Sie mir, mein schönes Kind, hat Ihre selige Mama wohl den Kriegserzählungen Ihres Herrn Papa Gehör geschenkt?«
    Die blonde Elfriede mußte lachen.
    »Mama? Die ist aus dem Zimmer gelaufen, wenn er bloß angefangen hat.

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