Es muß nicht immer Kaviar sein
reden, endlich, endlich, nach bösen, langen Jahren ließ man ihn reden! Und er sprach bei der Fleischbrühe über Norwegen, und beim Rinderfilet über Griechenland, und beim Plumpudding über Kreta.
Am nächsten Tag trat ein von Grund auf veränderter Adolf Bieselang vor die Gruppe hin und sprach: »Meine Herren, ich danke Ihnen für den schönen Abend. Wenn ich Sie nun
bitten
dürfte, mir zur Maschine zu folgen. Wir müssen
leider
das Springen noch ein wenig üben.«
6
Als Thomas am Abend des 27. Februar auf seine Unterkunft zuging, kam er an einem hohen Stacheldraht vorüber, der die Agentenabteilung von der Luftwaffenabteilung trennte. Jenseits des Zaunes stand ein Fallschirmjäger und pfiff ihn heran. »He!«
»Was ist los?«
»Die Beschreibung, die dieser Bastian mir gegeben hat, paßt auf dich.« Plötzlich war Thomas hellwach: »Bastian?«
»Heißt du Pierre Hunebelle?«
»Ja, das bin ich … Weißt du – weißt du vielleicht etwas von einer gewissen Chantal Tessier?«
»Tessier? – Nee – ich kenne nur diesen Bastian Fabre … Hat mir drei Goldmünzen dafür gegeben, daß ich den Brief besorge … Ich muß weg hier, Mensch, mein Spieß geht da drüben …«
Dann hatte Thomas Lieven das Kuvert in der Hand. Dann saß er auf einem Wegstein des Ackers. Es dämmerte. Es war kalt. Aber Thomas spürte die Kälte nicht. Er riß den Umschlag auf, zog den Brief hervor und begann zu lesen, indessen sein Herz klopfte wie ein riesiger Hammer …
Marseille, den 5. 2. 1943
Mein lieber alter Pierre!
Ich weiß gar nicht, wie ich diesen Brief anfangen soll. Vielleicht beguckst Du die Veilchen schon von unten, wenn ich diese Worte schreibe.
In den letzten Wochen habe ich so rumgemosert und einen Kumpel getroffen, der auf beiden Schultern trägt – arbeitet für die Résistance und für die Deutschen. Der hat aus Paris gewußt, was Dir alles passiert ist. Die verfluchten SD -Säue, wenn ich einen von denen erwische, erwürge ich ihn mit eigenen Händen. Jetzt, so hat der Kumpel gesagt, bist Du bei einem anderen Verein. Wie hast Du’s bloß geschafft? Und irgendwo bei Berlin wirst Du jetzt zum Fallschirmspringer ausgebildet. Mensch, ich piss’ in die Hosen! Mein Pierre ein deutscher Fallschirmspringer! Es wäre zum Lachen, wenn es nicht zum Heulen wäre.
In Montpellier habe ich einen deutschen Soldaten kennengelernt, der ist richtig. Gespickt habe ich ihn außerdem. Der fährt nach Berlin. Dem gebe ich heute diesen Brief mit.
Chantal hat zwei Briefe von Dir gekriegt – aber wir haben niemanden für Antworten an der Hand gehabt.
Lieber Pierre, Du weißt, wie gern ich Dich habe – darum fällt es mir besonders schwer aufzuschreiben, was hier passiert ist. Am 24. Januar erklärte die deutsche Kommandantur: Das alte Hafenviertel muß geräumt werden!
An diesem Tag haben sie in unserem Dreh an die 6000 Leute verhaftet – viele kennst Du , und sie haben über 1000 Bars und Bordelle geschlossen. So was von Ringkämpfen mit Damen hast Du noch nicht gesehen!
Die Deutschen gaben uns nur vier Stunden Zeit, unsere Quartiere zu räumen, dann kamen schon ihre Sprengtrupps. Chantal, der alte François (Pferdefuß, weißt Du noch?) und ich waren zusammen bis zuletzt. Chantal war wie besoffen, wie eine, die Koks geschnupft hat! Nur ein Gedanke war in ihrem Hirn: ›Die Glatze‹ umlegen! Dantes Villeforte, Du erinnerst Dich? Diese dreimal verfluchte Sau hat Dich nämlich an die Gestapo verraten.
Also, an diesem Abend haben wir auf ihn gewartet, in einer Hauseinfahrt in der Rue Mazenod, gegenüber dem Haus, in dem er wohnte. Wir haben gewußt: Er verbirgt sich im Keller. Chantal hat gesagt: »Jetzt, wo die Deutschen die Häuser sprengen, muß er rauskommen.« Und so haben wir gewartet – stundenlang.
Junge, war das ein Abend! Rauch und Staub und Qualm in der Luft, und immer neue Häuser flogen hoch, Männer brüllten, Frauen kreischten, Kinder weinten …
7
Rauch, Staub und Qualm erfüllten die Luft. Explosionen dröhnten, Männer brüllten, Frauen kreischten, Kinder weinten …
Es war schon dunkel. Nur der rote, unheimliche Widerschein brennender Häuser erhellte das »Alte Viertel«. Reglos stand Chantal im Dunkel eines Torbogens. Sie trug lange, enge Hosen und eine Lederjacke, um das Haar ein rotes Tuch. Unter der Lederjacke verborgen hielt sie eine Maschinenpistole. Nichts regte sich in dem weißen Katzengesicht.
Wieder flog ein Haus in die Luft. Es regnete Steinsplitter. Gekreisch klang auf,
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