Es muß nicht immer Kaviar sein
»Wie geht es Ihnen, Mister Lovejoy?«
»Schlechter als Ihnen, Mister Lieven«, antwortete der Hagere darauf prompt. »Glauben Sie, das war ein Vergnügen, Ihnen durch ganz Lissabon nachzulaufen? Und jetzt auch noch die Tür!« Lovejoy wischte sich mit einem Taschentuch den Schweiß aus dem Nacken. Auf seiner Stirn wuchs langsam, aber unaufhörlich eine Beule.
Also nicht ich bin irrsinnig, die Welt, in der ich lebe, ist es! Und der Irrsinn geht weiter! Und jetzt bekommt er anscheinend auch noch Methode, dachte Thomas. Er holte tief Luft, lehnte sich an die Telefonzelle und sagte: »Wie kommen Sie nach Lissabon, Mister Lovejoy?«
Der Vertreter großbritannischer Interessen verzog das Gesicht und meinte: »Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie mich Ellington nennen würden. So heiße
ich
nämlich in Portugal.«
»Eine Hand wäscht die andere. Dann nennen Sie mich aber auch Leblanc. So heiße ich nämlich in Portugal. Im übrigen ist damit noch nicht meine Frage beantwortet.«
Der Mann, der sich gerade Ellington nannte, erkundigte sich aufgebracht: »Sie halten uns Leute vom Geheimdienst wohl immer noch für Idioten, was?«
Der Mann, der sich gerade Leblanc nannte, antwortete höflich: »Ich bitte herzlich, mir die Antwort auf diese Suggestivfrage zu erlassen.«
Der britische Agent trat dicht an ihn heran: »Glauben Sie, wir wissen nicht, daß Admiral Canaris persönlich hinter Ihnen her ist? Glauben Sie, wir hören in London die deutschen Funksendungen nicht ab?«
»Ich dachte, sie senden chiffriert?«
»Wir haben ihren Dechiffrier-Code.«
»Und die Deutschen haben euren«, sagte Thomas, plötzlich unendlich erheitert. »Warum setzt ihr euch eigentlich nicht zusammen und spielt ›Schwarzer Peter‹?«
Grimmig sagte der Engländer: »Ich weiß, Sie sind ein Zyniker, ohne Herz. Ich weiß, Ihnen ist nichts heilig. Ich habe Sie sofort durchschaut – schon damals auf dem Flughafen in London. Sie sind ein Subjekt ohne Ehrgefühl, ohne Moral, ohne Verstand, ohne Charakter …«
»Schmeichler!«
»Und darum habe ich sofort gesagt: Laßt
mich
mit dem Burschen verhandeln! Der versteht nur eine Sprache, die!« Lovejoy rieb Daumen und Zeigefinger gegeneinander.
»Moment mal, immer hübsch der Reihe nach! Sagen Sie mir jetzt endlich, wie Sie hierherkommen!«
Lovejoy sagte es.
Wenn man ihm glauben wollte – und das mußte man wohl –, dann hatte der britische Geheimdienst in der Tat alle Funksprüche abgehört, die mit der Fahndung des Majors Loos nach Thomas Lieven zusammenhingen. Die letzte Funkmeldung hatte die frohe Kunde gebracht, daß Loos dem Gesuchten nach Lissabon folgen würde.
»… nach Lissabon!« schloß Lovejoy seinen Bericht. »Ich flog sofort mit einer Kuriermaschine los. Ich kam zwei Stunden vor Ihnen an. Ich verfolgte Sie vom Flughafen bis hierher. Sie und den anderen Herrn, der jetzt da drüben auf der Terrasse des Restaurants sitzt. Ich nehme an, das ist Major Loos.«
»Welcher Scharfsinn! Sie kennen den Major noch nicht persönlich?«
»Nein.«
»Mein Gott, dann kommen Sie doch mit hinüber in das Restaurant. Ich mache Sie miteinander bekannt. Wir essen zusammen, Muscheln natürlich, in Cascais
muß
man Muscheln essen …«
»Hören Sie mit dem Quatsch auf! Wir wissen, daß Sie ein doppeltes Spiel treiben!«
»Aha.«
»Sie besitzen eine Tasche mit den Listen der wichtigsten französischen Agenten in Frankreich und Deutschland. Ich werde nicht zulassen, daß Sie diese Listen an den famosen Major Loos verschachern! Er wird Ihnen Geld bieten, gewiß, viel Geld …«
»Ihr Wort in Gottes Ohr!«
»… aber ich biete ebensoviel, ich biete mehr!« Lovejoy lachte verächtlich auf. »Denn ich weiß, Sie interessiert
nur
Geld! Für Sie gibt es nicht Ehr’ und Glauben, nicht Gewissen und nicht Reue, keinen Idealismus, keine Anständigkeit …«
»So«, sagte Thomas Lieven gemessen, »jetzt reicht es, jetzt halten Sie aber schnell die Schnauze. Wer hinderte mich denn, nach England zurückzukehren und weiterzuleben wie ein friedlicher Bürger? Wer hat denn mitgeholfen, meine Existenz zu zerstören? Sie und Ihr dreimal verfluchter Geheimdienst. Glauben Sie, daß ich Sie sehr sympathisch finde,
Sir?
« Und er dachte: Jetzt sollt ihr aber was erleben, ihr verflixten Kerle. Alle miteinander!
»Entschuldigen Sie die Unterbrechung«, sagte Thomas Lieven, als er drei Minuten später zu Major Loos zurückkehrte, den man für einen nahen Verwandten seines angelsächsischen Berufskollegen halten
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