Es muß nicht immer Kaviar sein
daß sie morgen um 15 Uhr 45 nach Lissabon fliegen würden. Da kam ihm die Erleuchtung.
Die höchstens 25jährige Stewardeß schminkte sich. Sie besaß die Formen einer Rennjacht, schräge Augen, hohe Backenknochen, goldbraunen Teint und wundervolles kastanienbraunes Haar, das ihr in weichen Wellen in die schöne Stirn fiel. Sie wirkte kühl und scheu. Ein Rehlein … Thomas kannte die Gattung. Er wußte genau, was er da vor sich hatte. Wenn so ein wandelnder Eiszapfen zu schmelzen begann, gab es kein Halten mehr.
Dreißig gemütvolle Sekunden widmete Thomas Lieven noch der Erinnerung an seinen Abschied von Mimi, Siméon, Jeanne und ihren Damen in der Rue des Bergères. Alle hatten sie ihn geküßt, auch der Oberst: »Es lebe die Freiheit, mein Kamerad!« Und Jeanne hatte bitterlich losgeschluchzt, als das Taxi anfuhr. Ach, das war mal eine schöne, rührende Familienszene gewesen!
Die dreißig Sekunden waren um. Je nun, dachte Thomas, doch die Verhältnisse, sie sind nicht so!
Das Rehlein schminkte sich noch immer. Das Rehlein ließ den Lippenstift fallen.
Ich handle aus edlen Motiven, bestätigte sich Thomas Lieven zum Zweck der ethischen Untermauerung dessen, was er vorhatte. Dann hob er den Lippenstift auf und reichte ihn dem scheuen Reh mit den braunen Augen, in denen goldene Funken leuchteten.
»Vielen Dank«, sprach das Rehlein.
»Können wir gehen?« erkundigte sich Thomas.
»Was soll das heißen?«
»Oder haben Sie hier noch zu tun? Ich warte gern. Ich denke, wir gehen zuerst ins ›Grand Hôtel‹, da wohne ich, und nehmen einen Apéritif. Essen werden wir dann wohl am besten bei ›Guido‹ in der Rue de la Paix. Und nach dem Essen wollen wir baden.«
»Erlauben Sie mal …«
»Nicht baden? Bitte, bleiben wir im Hotel und ruhen wir uns aus.«
»So etwas habe ich noch nicht erlebt!«
»Mein Fräulein, ich will mir alle Mühe geben zu erreichen, daß Sie das morgen auch noch sagen!« Thomas zog die geliebte Repetieruhr aus der Westentasche und ließ sie schlagen. Elf Schläge und zwei erklangen glockenrein und mild.
»Halb zwölf. Ich sehe, ich mache Sie nervös. Es ist mir bewußt, daß ich eine sehr starke Wirkung auf Frauen ausübe. Voilà, ich warte auf Sie in der Bar des ›Grand Hôtel‹. Sagen wir um zwölf?«
Das Rehlein warf den Kopf zurück und stelzte davon. Die hohen Absätze hämmerten empört auf dem Steinboden.
Thomas ging ins »Grand Hôtel«, setzte sich in die Bar und bestellte Whisky. Das Rehlein kam drei Minuten nach zwölf. Es brachte einen Badeanzug mit.
10
Neben dem rundlichen Ehepaar Lindner marschierte Thomas Lieven – grauer Flanellanzug, weißes Hemd, blaue Krawatte, schwarze Schuhe, Homburg, Regenschirm – in der Gruppe der anderen Passagiere über das Rollfeld auf die wartende Maschine zu. Er sah zufrieden, wenn auch übernächtigt aus.
Auf der Höhe der herangerollten Treppe, im Eingang zur Kabine, stand Mabel Hastings, die Stewardeß. Sie sah zufrieden, wenn auch übernächtigt aus.
»Hallo«, sagte Thomas, als er die Treppe emporkam.
»Hallo«, sagte Mabel. Die goldenen Funken in ihren schönen Augen glitzerten.
So etwas wie Thomas Lieven hatte sie tatsächlich noch nie erlebt. Nach dem Mittagessen bei »Guido« waren sie dann doch nicht schwimmen gegangen, sondern hatten sich im Hotel – sie wohnten zufälligerweise im selben – ausgeruht.
Als er Mabel Hastings am Morgen des 30. August ihren Koffer packen half, erwies sie ihm, allerdings ohne es zu ahnen, noch einen weiteren Gefallen, der innig mit einer schwarzen Tasche zusammenhing …
Die Maschine rollte am Flughafengebäude vorbei zum Start. Thomas sah aus dem Kabinenfenster auf den kurzgeschnittenen Rasen und eine große Schafherde hinaus, die friedlich graste. Schafe bringen Glück, dachte er. Dann sah er ein Auto, das vor dem Flughafengebäude hielt. Aus dem Wagen sprang ein Mann. Er trug einen blauen, zerdrückten Anzug und einen gelben, zerdrückten Regenmantel. Das Gesicht des Mannes glänzte vor Schweiß. Er winkte mit beiden Armen.
Thomas dachte mitleidig: Das ist aber Pech. Gleich wird die Maschine starten, und der arme Kerl hat das Nachsehen.
Tatsächlich ließ der Pilot die beiden Motoren eben noch einmal auf vollen Touren laufen – letzte Kontrolle vor dem Start.
Eine eisige Hand strich über Thomas Lievens Rücken: Der winkende Mann dort drüben am Flughafengebäude … Das Gesicht – das kannte er doch – hatte er doch schon einmal gesehen …
Und plötzlich
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