Es muß nicht immer Kaviar sein
wußte Thomas Lieven, wo er dieses Gesicht schon einmal gesehen hatte: im Gestapo-Hauptquartier zu Köln! Major Loos hieß der Mann da drüben, Offizier der Deutschen Abwehr! Kombiniere, dachte Thomas Lieven, sie sind hinter mir her. Ach, aber es scheint einen lieben Gott zu geben! Major Loos wird mit mir jetzt gleich zum zweitenmal das Nachsehen haben. Denn in den nächsten fünf Sekunden wird unsere Maschine starten, und dann …
Die Maschine startete nicht. Das Gedröhne der voll laufenden Motoren verstummte. Auf flog die Tür zur Pilotenkabine. Die kühle Mabel Hastings erschien und sprach mit Samtstimme: »Meine Damen und Herren, es besteht kein Grund zur Beunruhigung. Wir wurden soeben über Funk davon verständigt, daß ein verspäteter Passagier eingetroffen ist, der unter allen Umständen unsere Maschine erreichen muß. Wir nehmen ihn auf und rollen in wenigen Minuten noch einmal zum Start.«
Wenig später kam Major Fritz Loos an Bord, entschuldigte sich in englischer Sprache bei den Passagieren für das Ungemach, das er ihnen bereitet hatte, und verneigte sich gemessen vor Thomas Lieven. Der sah durch ihn hindurch, als wäre der Major aus Glas …
11
Lissabon! Schmaler Balkon der Freiheit und des Friedens in einem mehr und mehr von Krieg und Barbarei verwüsteten Europa.
Lissabon!
Phantastisches Paradies des Reichtums, der Fülle, Schönheit und Eleganz inmitten einer Welt voll Not und Elend.
Lissabon!
Eldorado der Geheimdienste, Schauplatz ungeheuerlicher und ungeheuer lächerlicher Intrigen.
Vom Augenblick seiner Landung an war Thomas Lieven bereits tief in sie verstrickt. Verfolgt und beäugt von dem erschöpften Major Loos – er war während des Fluges sogar eingeschlafen, mit offenem Mund, leise röchelnd –, wurde Thomas Lieven sogleich einer auffällig genauen Zollkontrolle unterzogen. Bis auf die Haut entkleidete man ihn, durchwühlte sein Gepäck, stöberte in allen seinen Taschen. Der portugiesische Sicherheitsdienst schien einen kleinen Hinweis bekommen zu haben.
Aber seltsamerweise fanden sich weder sein beachtliches Dollarvermögen noch die gewisse schwarze Tasche in Thomas Lievens Besitz. Mit förmlicher Höflichkeit entließen ihn die Zöllner. Das Ehepaar Lindner war längst ins Hotel vorausgefahren.
Thomas marschierte zum Paßschalter. Major Loos marschierte hinterher. Thomas marschierte zu der Taxireihe am Flughafen. Major Loos marschierte hinterher. Noch immer war kein Wort zwischen ihnen gefallen.
Nun will ich dir ein bißchen Bewegung verschaffen, mein Alter, dachte Thomas, in ein Taxi springend. Auch Loos sprang. Zwei Taxis sausten los, dem Zentrum der Siebenhügelstadt entgegen. Von sechs herrlichen Urlaubswochen her kannte Thomas die imposante Hauptstadt Portugals recht gut.
Auf dem Praça Dom Pedro ließ er das Taxi halten und stieg wieder aus. Hinter ihm hielt das Taxi des Majors. Die Kaffeehäuser mit ihren Straßengärten rund um den großen Platz quollen über von Portugiesen und Emigranten, die leidenschaftlich miteinander debattierten. Im Vorübergehen hörte Thomas Lieven sämtliche Sprachen Europas.
Er ließ sich in dem Menschenstrudel ebenso treiben wie der Major, der sich verzweifelt bemühte, ihn nicht aus den Augen zu verlieren.
Jetzt, sagte Thomas in Gedanken zu dem Major, wollen wir ein bißchen laufen, mein Alter; Bewegung ist gut für die Gesundheit. Und so marschierte Thomas denn eilig hinab zu den engen, winkeligen Straßen am Meer und wieder empor zu den steil ansteigenden Hauptverkehrsadern, benützte Durchgänge und Arkaden, bog unerwartet um Ecken, sorgte jedoch stets dafür, daß er dem Major nichts Übermenschliches zumutete. Dieser sollte ihn verfluchen – aber nicht verlieren.
Über eine Stunde trieb Thomas Lieven solcherlei Hasch-mich-Spiel, dann nahm er wieder ein Taxi und fuhr, gefolgt von dem Major, zu dem Fischerdorf Cascais in der Nähe des Luxusbadeortes Estoril hinaus. Hier kannte er ein elegantes Terrassenrestaurant.
Die Sonne versank blutrot im Meer, der Abend kam mit lauen Winden. Das kleine Fischerdorf in einer Bucht der Tejo-Mündung war der malerischste Ort in der Umgebung von Lissabon. Thomas Lieven freute sich darauf, ein Schauspiel zu genießen, das man hier allabendlich verfolgen konnte: die Heimkehr der Fischerflotte. Vor dem Restaurant stieg er aus seinem Taxi. Hinter ihm bremste der alte, klapprige Wagen des Majors. Der deutsche Abwehroffizier kletterte, nach Luft schnappend, ins Freie. Er sah elend aus.
Thomas
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