Es muß nicht immer Kaviar sein
Sie Schwein«, antwortete Siméon voll Feuer.
Ein zweiter Mann betrat die Diele, groß, elegant, mit grauen Schläfen und klugen Augen, den Mantelkragen aufgestellt, die Hände in den Taschen, eine Zigarette im Mundwinkel – Maurice Débras.
»Guten Abend«, sagte Thomas. »Ich ahnte, daß Sie in der Nähe sein würden, als Chantal mir den Namen der Schallplatte nannte. Wie geht es, Major Débras?«
Siméon zischte:
»Oberst Débras!«
Débras selber antwortete nicht. Er bewegte nur kurz und herrisch den Kopf zur Tür.
Im nächsten Moment ließ ein wütender Schrei sie alle herumfahren. Geduckt wie eine Tigerkatze vor dem Sprung stand Chantal in der Wohnzimmertür, einen gekrümmten malaiischen Dolch in der Rechten. In wilder Wut fauchte sie: »Raus! oder ich bring euch um, alle beide. Laßt Jean in Ruhe! –«
Erschrocken wich Siméon zwei Schritte zurück.
Thomas dachte: Ein ganz so vertrottelter Held wie damals bei der Eroberung von Paris bist du Gott sei Dank doch nicht mehr! Dann sagte er scharf: »Laß den Quatsch, Chantal. Du hattest dem Herrn Oberst doch schließlich versprochen, mich zu verraten.«
Noch mehr krümmte Chantal sich zusammen, noch heiserer flüsterte sie: »Das ist mir ganz egal … Ich hab’ mich benommen comme une salope – aber ich kann alles noch gutmachen …«
»Einen feuchten Kehricht kannst du!« sagte Thomas. »Sie sperren dich doch nur ein, du dummes Luder!«
»Sollen sie mich einsperren … Mir ist alles egal – ich habe noch nie einen Menschen verraten. Geh hinter mich, Jean, schnell, renn ins Schlafzimmer …«
Jetzt stand sie dicht vor ihm. Thomas seufzte und schüttelte den Kopf. Dann schoß sein rechter Fuß hoch. Der Schuh traf Chantals rechtes Handgelenk. Sie schrie vor Schmerz. Der Dolch flog fort und blieb federnd im Türpfosten stecken.
Thomas nahm Hut und Mantel, riß den Dolch aus dem Holz und reichte ihn Débras. »Sie können nicht ahnen, wie peinlich es mir ist, eine Frau anzugreifen«, sagte er. »Aber bei Mademoiselle Tessier scheint Brutalität unumgänglich zu sein … Wollen wir gehen?« Stumm nickte Débras. Siméon stieß Thomas vor sich her auf den Flur hinaus.
16
Die Tür fiel ins Schloß. Chantal war allein. Ein Krampf begann sie zu schütteln. Kraftlos fiel sie auf den Teppich. Dort wälzte sie sich schluchzend und schreiend hin und her. Endlich erhob sie sich und taumelte ins Wohnzimmer. Die Platte war abgelaufen, rhythmisch schlug die Nadel. Chantal riß das Grammophon hoch und schleuderte es gegen die Wand, wo es krachend zerbrach.
Sie fand keinen Schlaf in dieser Nacht, der schlimmsten ihres Lebens. Hin und her wälzte sie sich in ihrem Bett, ruhelos, schuldbewußt, verzweifelt. Sie hatte ihren Geliebten verraten. Sie war schuld an seinem Tod. Denn es war ihr klar, daß Siméon und Débras ihn nun töten würden.
In der Morgendämmerung fiel sie in einen wirren Schlummer.
Der kräftige, falsche Gesang einer Männerstimme weckte sie auf. Mit schmerzendem Kopf und Gliedern aus Blei fuhr sie hoch.
Deutlich zu vernehmen war die Männerstimme: »J’ai deux amours …«
Wahnsinnig, ich bin wahnsinnig geworden, dachte sie entsetzt. Ich höre seine Stimme – die Stimme eines Toten – o Gott, ich habe den Verstand verloren …
»Jean!« schrie sie.
Keine Antwort.
Taumelnd stand sie auf. Im Nachthemd rannte sie aus dem Schlafzimmer. Weg – weg hier …
Jäh hielt sie an. Die Tür zum Badezimmer stand offen. Und in der Wanne saß Thomas Lieven.
Chantal schloß die Augen. Chantal öffnete die Augen wieder. Thomas saß noch immer in der Wanne. Chantal stöhnte: »Jean …«
»Guten Morgen, du Bestie«, sagte er.
Mehr fallend als gehend, schleppte sie sich zu ihm und sank auf den Wannenrand. Sie lallte: »Wie – was – machst du hier?«
»Ich versuche, meinen Rücken abzuseifen. Wenn du das freundlicherweise für mich erledigen wolltest.«
»Aber – aber – aber …«
»Wie bitte?«
»Aber sie haben dich doch erschossen … Du bist doch tot!!!«
»Wenn ich tot wäre, würde ich mir nicht mehr den Rücken abseifen; was ist das für ein Unsinn«, sagte er rügend. »Wirklich, Chantal, du mußt dich ein bißchen zusammennehmen. Du lebst nicht im Irrenhaus und nicht im Dschungel. Nicht mehr.«
Er hielt ihr ein Stück Seife hin. Sie packte es und schmiß es ins Wasser. Dazu schrie sie gellend: »Sag mir jetzt augenblicklich, was passiert ist!«
Gefährlich leise entgegnete Thomas: »Hol die Seife raus.
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