Es muss nicht immer Mord sein
geklebten
Geschäftskarten zu ignorieren. Botschaften wie SEXSKLAVE und TV-MASSAGEN,
gedruckt auf buntes Papier und krude illustriert, umgaben die Liste der
internationalen Vorwahlnummern über dem Telefon. Ich dachte, daß sie das nicht
gutheißen würde. Ich merkte, daß ich mir jemanden vorstellte, der Regs
Schwester sehr ähnlich war; die spielte eine Menge Bridge und verbrachte ihre
freien Momente damit, die Supermärkte der Umgebung kurz vor Ladenschluß nach
preisreduzierten Schokoladentörtchen abzukämmen.
»Prima, danke«, sagte ich und riß mich aus
meinem Tagtraum los. »Und Sie?«
»Mir geht’s gut«, sagte sie und kicherte.
Ich entschloß mich zur Kühnheit.
»Hören Sie, kenne ich Sie eigentlich?« fragte
ich in einem Ton, den ich für heiter und unbedrohlich hielt.
Ich konnte das Zögern spüren. Ich konnte durch
die Stille nahezu hören, wie es in ihrem Kopf klickte, als sie sich zum
Antworten entschloß.
»Gewissermaßen«, sagte sie. »Gewissermaßen
kennst du mich schon, denke ich«, und dann fügte sie rasch hinzu: »Ich muß
jetzt weiter.«
Ich hatte entdeckt, daß den Anrufen ein Muster
zugrunde lag. Einer kam gewöhnlich gegen elf Uhr vormittags, dann noch einer
unmittelbar vor der Mittagspause. Häufig rief sie an, wenn ich gerade das Büro
verlassen wollte. Manchmal, wenn ich eine Frage stellte oder mich verärgert
anhörte, legte sie sofort wieder auf und meldete sich ein paar Tage lang nicht
mehr. Am Montag kam fast immer ein Anruf. Als hätte sie das Wochenende damit
zugebracht, sich darauf vorzubereiten.
Ich schnappte mir meine Handtasche und ging,
tief in Gedanken versunken, zu den Lifts.
Während der gläserne Aufzug ins Erdgeschoß
glitt, sah ich wie Dawn, die Empfangsdame, ihren Schreibtisch aufräumte. Sie
stellte die Telefonzentrale auf Nachtdienst und sammelte ihren Kram auf.
Vielleicht waren es die mausgrauen Dauerwellen, vielleicht der Plastikbeutel
aus dem Supermarkt, den ich neben ihr unter dem Tisch stehen sah und der so
wunderbar in meine Fantasie paßte. Ich war mit einem Mal überzeugt, daß sie
eine sehr naheliegende Verdächtige darstellte.
Vielleicht hatte sie sich ja eine Art bizarres
Spielchen ausgedacht, mit dem sie sich amüsierte, wenn es ihr langweilig wurde.
Mit dieser Theorie gab es nur ein einziges Problem: Wenn sie es anscheinend
selbst in den besten Momenten eine derartige Überwindung kostete, halbwegs
höflich mit mir umzugehen, schien es seltsam, daß die anonymen Anrufe immer so
freundlich klangen. Aber vielleicht diente das ja nur dazu, mich von der Fährte
abzulenken. In dem Sekundenbruchteil bevor der Lift ankam und die Türen
aufgingen, beschloß ich, ihr gegenüberzutreten.
»Haben Sie irgendeine Idee, wer mich fortwährend
anruft?« fragte ich so beiläufige wie ich nur konnte.
»Was meinen Sie damit?« Ich fand, daß sie sich
defensiv anhörte.
»Sie wissen schon. Da gibt’s eine Frau, die mich
ständig anruft. Hauptsächlich kurz vor Mittag und am Abend. Sie haben vor ungefähr
fünf Minuten einen dieser Anrufe durchgestellt«, sagte ich und lehnte mich mit
den Ellbogen auf ihren Schreibtisch.
»Ach, die. Ich denke immer, das ist Ihre
Mutter«, sagte Dawn. »Ich meine, wer sonst sollte so oft anrufen? Sie ist
nervös, telefoniert nicht so gerne wie viele ältere Leute, und sie fragt immer
nach Sophie Fitt, nicht nach Martin Youngs Sekretärin.«
Für jemanden, der normalerweise so wortkarg war,
kam sie mir verdächtig redselig vor. Mir wurde klar, daß es eine blöde Idee
gewesen war, mit ihr zu sprechen, da sie ja wohl kaum zugeben würde, die Anrufe
selbst getätigt zu haben.
»Sie meinen, Sie wissen nicht, wer sie ist?«
sagte sie, als sei ihr die wahre Bedeutung meiner Frage endlich bewußt
geworden. »Gespenstisch.«
Kapitel Elf
Ich war überrascht und
ziemlich geschmeichelt zu sehen, daß der Kneipenwirt seine Werbekampagne
ausgeweitet hatte. In den Buswartehäuschen entlang der Essex Road hingen ein
paar hastig angeleimte Kopien meines Plakats. Die Qualität war schauderhaft —
vermutlich hatte er einen Fotokopierer benutzt, dem allmählich der Toner
ausging — , aber der Effekt gefiel mir ganz gut, weil ich fand, daß er mich wie
die Leadsängerin einer Punkband aus lauter Mädchen aussehen ließ.
Ich war erst nach der Pause dran, also setzte
ich mich an den Tresen und musterte das Publikum. Janine, die australische
Barfrau, brachte mir ein Glas Mineralwasser und sagte, sie freue sich schon auf
meinen
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