Es muss nicht immer Mord sein
war. In der
Anstrengung, den Passagier zu erkennen, unterschätzte ich die Distanz zwischen
meiner Stirn und der Fensterscheibe.
»Auah!«
Dave blickte auf. »Was gibt’s denn so
Interessantes zu sehen?«
»Ich glaube, wir sind verfolgt worden«, sagte
ich. »Nein, schau nicht hin... o.k., jetzt schau hin. Sie fahren weg. Hast du
irgendwas erkennen können?«
»Von welchem Auto redest du denn?«
»Von dem Taxi natürlich.«
»Oh, das Taxi hab ich mir nicht angesehen. Ich
dachte, du meinst den roten Toyota.«
»Also ehrlich!« sagte ich ziemlich verärgert.
»Falls Inspektor Columbo je einen neuen Assistenten sucht, bewirb dich gar
nicht erst.«
»Sorry«, sagte Dave. »Was um alles in der Welt
bringt dich eigentlich auf die Idee, daß sie uns gefolgt sind?«
»Na ja, manche Leute würden sagen, das kommt
davon, daß ich eine allzu rege Fantasie habe«, sagte ich und mußte dabei an
Martin denken. »Schau mal, ich hab dir doch von diesen seltsamen Anrufen im Büro
erzählt, ja? Also, heute abend hab’ ich das hier im Pub gekriegt.«
Ich zog die Karte aus meiner großen Ledertasche.
»Bah«, sagte Dave, als er sich das Bild
betrachtete. »Das ist ja gräßlich.« Dann schaute er sich die Grußbotschaft im
Innern an. »Versteh’ ich nicht.«
»Ich auch nicht. Das ist es ja gerade«, sagte
ich.
Ich versuchte, ihm die Situation zu erklären,
aber je mehr ich mich bemühte, die Wahrheit in den Griff zu bekommen, desto
stärker entglitt sie mir. Dave gab eine Weile vor, sich zu konzentrieren,
während er Stückchen Fladenbrot abbrach und nachdenklich daran herumknabberte,
aber sein Blick wurde allmählich glasig, und ich merkte, daß er bald so
verwirrt war wie ich selbst.
»Jedenfalls bin ich mir ganz sicher, die
Empfangsdame nicht im Publikum gesehen zu haben«, sagte ich und hielt inne, um
Luft zu holen.
Es dauerte ein paar Sekunden, bis Dave klar
wurde, daß das vermutlich eine Antwort erforderte.
»Hat sie denn gesagt, daß sie kommen würde?«
fragte er zögernd.
»Ach, du hast mir überhaupt nicht zugehört! Na
ja, vielleicht ist es ja gar nicht die Empfangsdame. Vielleicht hat sie die
Wahrheit gesagt. Oder vielleicht...« — ich sprach mehr für mich weiter, da Dave
inzwischen nur noch Bahnhof verstand — »vielleicht ist es ja genau das, was ich
denken soll, und sie versucht, mich von ihrer Spur abzulenken, seit ich sie zur
Rede gestellt habe.« Im Zustand fortgeschrittener Trunkenheit klang das für
einen Moment plausibel. Aber ich war mir sicher, ihr gegenüber meine
Kabarettnummer nie erwähnt zu haben, und sie wirkte nicht wie die Art von
Mensch, der die Kleinanzeigen im Theaterteil von Time Out studiert.
Nein, wie auch immer ich es betrachtete, die Person, die mich anrief, hatte die
Karte nicht geschickt. Was die Sache einfacher zu machen schien, bloß hieß es,
daß ich inzwischen die Aufmerksamkeit zweier Unbekannter erregt hatte.
Vielleicht war mein Fan ja im Publikum gewesen. Ich war froh, daß mir dieser
Gedanke nicht schon vor meinem Auftritt gekommen war. Ich mochte die
Vorstellung nicht, daß jemand im Publikum mich sozusagen überwachte, geschweige
denn, daß er mir zu einem Tandoori-Restaurant in Camden folgte. Ich war
ausgesprochen erleichtert, daß wir das Taxi hatten anhalten lassen, bevor es
uns zu meiner Wohnung brachte.
»Was ich nicht verstehe ist, warum jemand
möchte, daß du dich verletzt...« Dave war eindeutig ein paar Schritte zurück
und schaute sich noch immer die Grußkarte an.
Ich versuchte zu erklären, daß »Hals- und
Beinbruch« in der Theaterwelt nicht so häßlich war, wie es sich anhörte.
»Ein Beinbruch kann häßlich genug sein, ganz
egal, wo er passiert«, sagte er. Vielleicht meinst du ja bloß eine
Streßfraktur.«
»Nein, nein«, sagte ich im Bemühen, das Gespräch
von der Medizin zurück auf die Metaphorik zu bringen. »Das ist ein
Aberglaube... genau wie der, das Shakespeare-Stück über den schottischen König
nicht zu erwähnen...«
»Und welches ist das?« Dave sah man langsam all
die großen Biere an, die er intus hatte.
»Das erzähl’ ich dir morgen früh.« Ich merkte,
daß ich die Speisekarte nicht mehr richtig lesen konnte, und bestellte mir eine
Portion Chicken Biryani, weil sich das am einfachsten mit einer Hand essen
ließ.
Als ich Dave am Sonntagmorgen nach mehreren
Gläsern frischgepreßtem Orangensaft und vier Tassen schwarzem Kaffee
schließlich die volle Geschichte meiner mysteriösen Telefonanrufe erzählte, war
er
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