Es muss nicht immer Mord sein
Martin«,
sagte ich. »Ich hatte keine Ahnung, wirklich. Es kommt nicht wieder vor.
Obwohl, du hättest es mir sagen können.«
»Ich dachte, du wüßtest das. Die meisten Banken
haben heutzutage dieses System installiert.«
»Tja, wer immer es war, er muß überrascht
gewesen sein. Wenn ich mich recht erinnere, reichten unsere Gesprächsthemen vom
Tod über die Literatur zum Tod der Literatur, aber den Finanzmarkt haben wir
kaum berührt...«
Martin versuchte, äußerst streng dreinzuschauen,
aber dann kicherten wir beide spontan los.
»Nebenbei, wieso haben sie dich eigentlich als
Meister Proper eingestellt?« fragte ich. »Und sag mir bloß nicht, daß das
vertraulich ist... In den Zeiten, bevor ich für dich gearbeitet habe, hattest
du nie Probleme damit, mir irgendwas zu erzählen.«
»Ich weiß, ich weiß.« Er beugte sich
verschwörerisch vor. »Also, wenn du mir versprichst, es niemandem
weiterzuerzählen...«
»Ach, ja, Martin, ich geh’ schnurstracks zurück
ins Büro und ruf jedermann an, den ich kenne, speziell all meine Freunde in New
York.«
»Schon gut. Die Bank hat meinen Vorgänger
gefeuert, weil er ein kleines Problem mit Charlie hatte.«
»Welchem Charlie?« Ich tupfte mir mit einer
Serviette die Augen ab. In der Suppe schwamm eine gefährliche Menge kleiner
weißer Chilikerne, und die Schärfe ließ mir die Tränen kommen.
»Weißt du Soph, Charlie beginnt mit >C<
wie >Cocastrauch<, das ist ein Euphemismus für...«
»Oh, Koks! « sagte ich, als ich
endlich zu kapieren begann.
»Pst. Na ja, er hat soviel Zeit auf der Toilette
zugebracht, daß seine Arbeitsleistung darunter gelitten hat, und ein paar
Händler auch. Es gab eine kleine Säuberungsaktion...«
»Ach du lieber Himmel. Hat es eine Razzia
gegeben, mit Polizei und allem?« erkundigte ich mich.
»Nein. Meines Wissens nicht. Keine konkreten
Beweise, verstehst du. Sie mögen ein paar belastende Telefongespräche auf Band
gehabt haben, aber nichts, womit man vor Gericht durchkäme.«
»Und es wäre schlechte Publicity«, fügte ich
hinzu. Soweit es um die Bank ging, mußte es auch einen weniger ehrenhaften
Grund geben.
»Genau.« Martin schaute ein wenig beschämt
drein. »Tja, das Vertrauen ist im Moment sowieso ziemlich am Tiefpunkt. Sie
wollten nicht auch noch einen Haufen von Drogenprozessen mit Schlagzeilen über
Dealer aus der City und all den Wortspielen, die das mit sich bringt.«
»Also haben sie einfach ein paar Typen
wegrationalisiert, und niemand wußte, warum?« fragte ich ungläubig.
»Yeah. Schau mich nicht so an, Soph. Das war
nicht meine Entscheidung, weißt du. Es ist passiert, ehe ich in die Firma
eingetreten bin, und nein, ich hab auch nichts davon gewußt, bevor ich
eingetreten bin; nur, damit du nicht auf dumme Ideen kommst.«
Ich glaubte ihm.
»Deswegen haben die Typen also alle Angst vor
dir, und das Betriebsklima ist so schlecht?« sagte ich.
Auf eine Art war es eine Erleichterung, die
Wahrheit zu kennen. Ich fand, daß Martin auch erleichtert wirkte, obschon ich
verstehen konnte, warum er mir das nicht hatte erzählen wollen. Sein
natürlicher Sinn für Fairness würde ihn daran gehindert haben, mich in etwas
einzuweihen, von dem niemand sonst im Raum offiziell wußte.
»Yeah.«
»Und ich hatte es für deine angeborene Autorität
gehalten«, sagte ich in einem erfolglosen Versuch, die Atmosphäre aufzuheitern.
»Na ja, das und der Tod von Denise... sie war
anscheinend beliebt, und es ist schwer, mit so etwas klarzukommen«, sagte Martin
bedrückt.
Ich schaute auf unsere Teller. Den Hauptgang
hatten wir kaum angerührt.
»Ich hab’ noch ein paar von diesen Anrufen
bekommen«, sagte ich. Die Atmosphäre wurde allmählich immer düsterer.
»Oh, nein. Ich dachte, du hättest gesagt, daß
sie aufgehört haben. Heute vormittag?«
»Nein. Zu Hause, am Wochenende. Sie waren nichts
als Schweigen, aber es war dieselbe Person.«
»Schweigen?« wiederholte Martin.
»Yeah, auf meinem Anrufbeantworter. Es waren
zwei Nachrichten drauf, aber niemand hat etwas gesagt.«
»Wie um alles in der Welt konntest du dann...«
»...wissen, wer es war?« beendete ich den Satz
für ihn. »Ich wußte es einfach. Glaubst du mir nicht?«
Ich war froh, daß ich in der Nacht zuvor am Ende
beschlossen hatte, Martin doch nicht anzurufen. Einer der Vorzüge eines
hellhörigen Hauses und einer neugierigen Nachbarin, hatte ich mir gesagt,
bestand darin, daß mir nicht allzuviel passieren konnte, ohne daß es
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