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Es muss nicht immer Mord sein

Es muss nicht immer Mord sein

Titel: Es muss nicht immer Mord sein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Imogen Parker
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mußten. Die Kartons
waren braun und unbedruckt, aber einige trugen gelbe Etiketten, die uns
zugewandt waren. Ich konnte ein auf dem Kopf stehendes >ECHT LATEX<
entziffern, und dann bemerkte ich, daß jemand mit einem dicken Filzschreiber
auf einige der Reihen das Wort TIQUE gekritzelt hatte, auf andere TAKE und
DRESS.
    Nat machte banale Konversation, bis wir im
Hauptflügel des Gebäudes — oder, wie er es nannte, in den Studios — ankamen.
Zwei Mädchen mit blutrot geschminkten Mündern, Mikroröcken und Springerstiefeln
saßen auf weiteren Pappkartons mit der seitlichen Aufschrift GUIDED. Eines der
Mädchen trug einen Nasenring.
    »Mach’s dir gemütlich! Laß dich ruhig nieder,
wie ihr Engländer sagt!«
    Ich hatte das seit Jahren niemanden mehr sagen
hören. Ich fragte mich, wo Nat eigentlich herstammte.
    »Die anderen sind nicht ganz so pünktlich,
kleine Miß Fitt.«
    Zumindest hatte er meinen Nachnamen behalten.
Ich lächelte geduldig.
    »Entschuldigt mich«, sagte er. »Ich vernehme die
Glocke!«
    Er legte eine gräßliche
Charles-Laughton-Imitation hin, die offensichtlich dazu gedacht war, uns zum
Lachen zu bringen, aber sowohl die beiden Mädchen als auch ich saßen bloß
verdrießlich da, als er den Raum verließ.
    Ich hustete und lächelte sie nacheinander
zaghaft an.
    »Ich bin die Garderobe«, sagte die mit dem
Nasenring in einem flachen Südlondoner Tonfall.
    »Ach, wirklich? Die Damengarderobe oder die
Herrengarderobe?« sagte ich fröhlich und erntete dafür nicht einmal den
Schimmer eines Lächelns.
    »Ich wette, das bekommt ihr ständig zu hören?«
fuhr ich mit weniger Selbstvertrauen fort.
    »Nö, ich bin die Maske«, sagte die andere.
    »Ich bin die Sophie.« Mir wollte nichts
einfallen, was ich sonst sagen konnte.
    »Ich dachte, er hat gesagt, daß du Zoe heißt.«
    »Hat er auch. Aber er hat sich geirrt. Ich heiße
Sophie.«
    »Oh, tatsächlich.« Sie wechselten Blicke, als
wären sie sich nicht sicher, wem sie nun glauben sollten.
    »Möchtest du dann mal deine Klamotten seh’n?«
fragte Garderobe und stemmte sich müde von ihrem Kartonstapel hoch. »Hier
drüben.«
    In den düsteren Tiefen des Lagerhauses, wo es
kein natürliches Licht gab, zeigte sie mir einen fahrbaren Kleiderständer, an
dem schlaff und zerknittert ein paar paillettenbestickte Kostüme hingen.
    »Eigentlich bestimme ich normalerweise selbst,
was ich anziehe«, sagte ich. Ich hatte eine Plastiktüte mit meinen Requisiten
und einem T-Shirt zum Wechseln darin. Auf der Bühne trage ich unweigerlich enge
schwarze Hosen und dazu entweder ein weißes T-Shirt oder ein schwarzes. Wenn es
im Saal ganz besonders kalt ist, ziehe ich darüber eine schwarze Smokingjacke
an. Sie ist mir viel zu groß, aber es sieht o.k. aus. Zur Dekoration habe ich
ein paar Perlenketten, Hüte, Brillen und Halstücher.
    »Das ist für den ersten Teil.« Garderobe hielt
etwas hoch, das aussah wie ein türkisfarbener Badeanzug mit einer Art
Nixenschwanz aus Chiffon hintendran. Es bestand aus glänzendem Lycra, und die
Pailletten waren purpurrot.
    »Die Farbe steht dir«, sagte sie und hielt mir
den Bügel nahe genug vors Gesicht, daß ich den Schweiß der vorherigen Trägerin
riechen konnte. »Nat hat gar nicht gesagt, daß du so klein bist. Ich hab’ ein
paar Sicherheitsnadeln dabei, aber ich werd’ sehen müssen, ob ich für Freitag
ein kleineres auftreiben kann.« Sie schaute mich vorwurfsvoll an, als ob meine
Größe ihr unbezahlte Überstunden einbringen würde.
    Ich musterte aufmerksam ihr Gesicht, um zu
sehen, ob sie Witze machte. Da war keine Spur eines Lächelns.
    »Das kann ich nicht tragen«, sagte ich.
    »Sieht hübsch aus, wenn’s wer anhat«, sagte sie.
»Hübscher an als aus, wenn du verstehst, was ich meine. Das da...« — sie hielt
ein Ding hoch (es war zu spärlich, um es als Kleidungsstück zu bezeichnen), das
zwei silberne Dreiecke als Oberteil hatte, die durch Ketten von aufgefädelten
Rheinkieseln mit einem noch kleineren Dreieck mit einem Riemchen daran
verbunden waren — »...ist für die zweite Hälfte. Das ist schon o.k.«, sagte
sie, als sie den entsetzten Ausdruck sah, der über mein Gesicht huschte. »Trash
verpaßt dir ’ne nahdose Bräune. Sieht im Scheinwerferlicht total echt aus.«
    »Trash?«
    »Abkürzung für Tracy. Die Maske.« Sie deutete
auf ihre Freundin.
    »Ich glaube, da hat es einen Irrtum gegeben«,
sagte ich.
    Garderobe setzte ein beleidigtes Gesicht auf und
zockelte zurück zu ihrem Karton, wo sie

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