Es muss nicht immer Mord sein
die
Verrückten.
»Jetzt mal im Ernst«, sagte sie, »du hast Glück
gehabt, rechtzeitig rauszukommen. Es gibt eine Menge Mädchen, die sich
überreden lassen, gegen Geld ein bißchen »Modell zu Stehern, und der Fotograf
beschwätzt sie, und ehe sie sich’s versehen, sind sie in der obersten Reihe des
Regals beim Zeitschriftenhändler um die Ecke aus allen erdenklichen
Perspektiven zu besichtigen. Oder schlimmer. Dann verlieren sie gewissermaßen
die Selbstachtung... da kann’s rapide bergab gehen...« Sie redete ohne Punkt
und Komma und höchst bewandert weiter. Ich fragte mich, wieso sie soviel
darüber wußte. Vielleicht hatte ihre Karriere als >Model< ja mehr
Aspekte, als sie zugab.
»Na ja, ich glaube nicht, daß da viel Gefahr
bestand, soweit es mich betrifft«, unterbrach ich sie. »Nat hat es ziemlich deutlich
gemacht, daß meine Maße nur für den Export geeignet sind... Eines muß ich dir
sagen«, fuhr ich fort, »das ist ein echter Tiefpunkt in meinem Leben. Meine
Bühnenkarriere endet damit, daß ich haarscharf die Hauptrolle in einem
Pornovideo verpasse, auf der Arbeit werde ich abgehört, und dann gibt’s da eine
durchgeknallte alte Frau, die fortwährend meine Wohnung beobachtet. Sie steht
einfach da und glotzt.«
»Moment mal, da komm’ ich nicht mit. Könnte ich
das noch mal hören, langsam?« sagte Jools.
Ich begann ihr zu erzählen, was Martin mir am
Tag zuvor beim Mittagessen berichtet hatte.
»Du meinst also, sie zeichnen alle Gespräche
auf, die mit oder aus der Bank geführt werden?« fragte Jools.
»Yeah. Hat schwer was von Big Brother,
stimmt’s?« sagte ich. Ich hätte fast begonnen, ihr von dem Drogenskandal zu
erzählen, erinnerte mich aber gerade noch rechtzeitig daran, was ich Martin
versprochen hatte.
»Und dann ist da diese alte Frau. Erst sehe ich,
wie sie sich vor meiner Haustür verdächtig benimmt, und dann starrt sie mich
von der anderen Straßenseite her an«, sagte ich eilig, um Jools von dem
verfänglichen Thema abzubringen.
»Hast du mit ihr gesprochen?« fragte sie.
»Ja, beim ersten Mal. Bloß kurz... Tja, ich
nehme an, es könnte die gleiche Stimme gewesen sein wie am Telefon.«
Ich war mir nicht sicher. Ich hatte es
nachprüfen wollen, als ich sie am letzten Abend wieder vor dem
Lebensmittelladen stehen gesehen hatte. Also hatte ich beschlossen, sie nach
Möglichkeit in ein Gespräch zu verwickeln, aber unten im Hausflur hatte ich Liz
getroffen, die gerade von der Arbeit kam, und wir hatten ein paar Minuten
miteinander geplaudert. Als ich schließlich die Haustür aufmachte, war die alte
Frau verschwunden.
»Verstehst du«, fuhr ich fort, »es ist eine
Weile her, seit ich einen Anruf bekommen habe, bei dem sie tatsächlich
gesprochen hat.«
»Ist diese alte Frau eine Stadtstreicherin,
obdachlos, so was in der Art?« fragte Jools.
Auf die Idee war ich nicht gekommen. Ich war so
beschäftigt damit gewesen, über mich selbst nachzugrübeln, daß ich an ihre
Lebensumstände weiter keinen Gedanken verschwendet hatte. Ich wurde allmählich
zu einer typischen Londonerin.
»Das glaube ich eigentlich nicht«, sagte ich,
während ich sie vor meinem geistigen Auge heraufbeschwor. Sie wirkte sauber und
ziemlich schick angezogen. Ich erinnerte mich besonders deutlich an das
klapp-klapp-klapp ihrer Maggie-Thatcher-mäßigen Lacklederpumps auf dem
Bürgersteig, als sie vorigen Freitag weitergeeilt war.
»Vielleicht gehört sie zu diesen Bekloppten, die
sie aus den geschlossenen Nervenkliniken entlassen haben, damit sich die
Gemeinschaft um sie kümmern kann«, schlug Jools vor.
»Oh, toll!« sagte ich. »Denise ist von einem
dieser Typen umgebracht worden. Da fühle ich mich doch gleich viel besser.« Ich
lachte, aber dann begann ich, laut zu denken.
»Warum hatte Denise einen
Selbstverteidigungskurs mitgemacht? Vielleicht war sie ja auch mit anonymen
Anrufen und Geburtstagskarten terrorisiert worden. Vielleicht war ihr Tod in
der U-Bahn ja gar nicht der zufällige Raubüberfall, für den ihn jedermann zu
halten schien. Vielleicht hatte sie ihren Angreifer ja gekannt. Oder am Telefon
gehört.. «
»Ich liebe gute Krimis«, erwiderte Jools. »Ich
schau’ sie mir alle in der Glotze an...« Sie schien mich nicht ernst zu nehmen.
»Du glaubst also nicht, daß sich eine Verbindung
zu Denise herstellen ließe?« fragte ich geradeheraus.
»Das wäre ein bißchen weit hergeholt, oder? Vor
allem, weil sie den Kerl gefaßt haben, der es getan hat«, sagte Jools.
Ich
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