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Es: Roman

Es: Roman

Titel: Es: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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bleiben. Dass sie nie erfahren würde, dass sie es Ben Hanscom zu verdanken hatte, spielte keine Rolle. Er wusste es, und das genügte ihm.
    Er schrieb sein Gedicht auf die Postkarte (um kein Risiko einzugehen in Druckbuchstaben, als handelte es sich dabei um eine Lösegeldforderung und nicht um ein Liebesgedicht), schob seinen Kugelschreiber wieder in die Tasche und legte die Karte in Hot Rod.
    Dann stand er auf und verabschiedete sich im Hinausgehen von Mrs. Starrett.
    »Auf Wiedersehen, Ben«, sagte die Bibliothekarin. »Genieß deine Sommerferien, aber vergiss die Sperrstunde nicht.«
    »Werde ich nicht«, sagte er und ging.
    Er genoss die Hitze in der verglasten Passage zwischen den beiden Gebäuden ( Treibhauseffekt, dachte er zufrieden) und die Kühle der Bücherei für Erwachsene. Ein alter Mann las Zeitung in einem der alten bequemen Polsterstühle des großen Lesesaals. Die Schlagzeile unter dem Titel verkündete: DULLES KÜNDIGT EINSATZ VON US-TRUPPEN IM LIBANON AN, FALLS ERFORDERLICH! Darunter ein Foto von Ike, der einem Araber im Rosengarten die Hand schüttelte. Bens Mutter sagte, dass 1960 Hubert Humphrey Präsident werden würde, und dass es dann mit Amerika wieder aufwärts gehen würde. Ben wusste verschwommen, dass sich gegenwärtig eine Rezession abzeichnete und dass seine Mutter Angst vor einer Entlassung hatte.
    FAHNDUNG NACH PSYCHOPATH GEHT WEITER lautete eine Schlagzeile auf der unteren Hälfte der ersten Seite.
    Er stieß die große Eingangstür auf und trat hinaus.
    Am Ende der Auffahrt zur Bücherei gab es einen Briefkasten. Ben fischte die Postkarte aus dem Buch und warf sie möglichst unauffällig ein. Er hatte dabei lautes Herzklopfen. Was ist, wenn sie irgendwie weiß, dass ich ihr geschrieben habe?
    Sei doch nicht albern, sagte er sich, aber der erregende Gedanke ließ ihn nicht los.
    Ohne bestimmtes Ziel schlenderte er die Kansas Street hinauf. In seiner Fantasie malte er sich eine wundervolle Szene aus: Beverly Marsh kam auf ihn zu; ihre graugrünen Augen strahlten, ihre rotbraunen Haare waren zum Pferdeschwanz gebunden. Ich möchte dich etwas fragen, Ben, sagte sie, und du musst nur schwören, die Wahrheit zu sagen. Sie hielt die Postkarte hoch. Hast du das geschrieben?
    Was für eine schreckliche Fantasie. Was für eine wunderschöne Fantasie. Er wollte, dass sie aufhörte. Er wollte, dass sie nie aufhörte. Bens Gesicht glühte wieder.
    Ben lief, träumte, nahm seine Bücher von einer Hand in die andere und begann, vor sich hin zu pfeifen. Du wirst mich vermutlich für ein schreckliches Mädchen halten, sagte Beverly, aber ich möchte dich küssen. Ihre Lippen öffneten sich leicht.
    Bens Lippen waren plötzlich zum Pfeifen viel zu trocken.
    »Das möchte ich auch«, flüsterte er und lächelte ganz benommen. Es war ein wunderschönes Lächeln.
    Wenn er in diesem Moment einen Blick auf den Gehweg geworfen hätte, hätte er außer seinem eigenen Schatten drei weitere gesehen; wenn er aufgepasst hätte, so hätte er Victors Absätze auf dem Pflaster hören müssen, während er, Belch und Henry sich näherten. Aber er sah und hörte nichts. Er war weit entfernt – er fühlte Beverlys weiche Lippen auf den seinen, er hob schüchtern die Hände, um das irische Winterfeuer ihrer Haare zu berühren.

9
     
    Wie so viele andere kleine oder große Städte war Derry nicht geplant worden – es war einfach gewachsen. Städteplaner hätten es nie dort angelegt, wo es tatsächlich lag, nämlich in einem vom Kenduskeag gebildeten Tal. Der Fluss führte von Südwesten nach Nordosten diagonal durch die Stadt. Der Rest hatte sich an den umliegenden Hügeln ausgebreitet.
    Das Tal, in das die ersten Siedler der Stadt kamen, war sumpfig und überwuchert gewesen. Der Bach und der Penobscot River, in den der Kenduskeag mündete, waren gut für Händler, aber schlecht für alle, die Getreide an- oder ihre Häuser zu nahe dort bauten – besonders am Kenduskeag, denn der Fluss trat alle drei oder vier Jahre über die Ufer. Die Stadt war trotz der Unsummen, die in den letzten fünfzig Jahren auf das Problem verwendet worden waren, immer noch von Hochwasser bedroht. Wären die Überschwemmungen nur von dem Bach selbst verursacht worden, dann hätten ein paar Dämme das Problem vielleicht beseitigt. Aber es gab noch andere Faktoren. Die flachen Ufer des Kenduskeag. Oder das gesamte baufällige Abwassersystem der Gegend. Seit der Jahrhundertwende hatte es mehrere schwere Überschwemmungen in Derry gegeben,

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