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Es: Roman

Es: Roman

Titel: Es: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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ein Streifen Eis entlang der Ufer des Kenduskeag. Auf den Feldern ließen sich jetzt manchmal Krähen häuslich auf den Vogelscheuchen nieder, die ohne die Konservendosen stumm waren und keine Bedrohung darstellten.
    Der Gedanke, dass sich wieder ein Jahr dem Ende zuneigte, war Mike nicht gerade zuwider – es gab vieles, worauf er sich im Winter freute: Man konnte im McCarron Park Schlitten fahren (und wenn man Mut hatte, auch auf dem Rhulin Hill hier in Derrytown, aber das war eigentlich den größeren Kindern vorbehalten), Schlittschuh laufen, Schneeballschlachten veranstalten und Schneeburgen bauen. Da war die Vorfreude auf Weihnachten – bald würde er mit seinem Vater auf Schneeschuhen den Weihnachtsbaum holen; und dann die Geschenke – würde er die Nordica-Skier bekommen, die er sich gewünscht hatte? Der Winter war schön … aber wenn er sah, wie sein Vater den Lieferwagen in die Scheune fuhr
    (Frühling und Sommer … vorüber … die Ernte … eingebracht)
    und abdeckte, wurde ihm trotzdem immer traurig ums Herz. Ganz so, wie wenn er die Vogelscharen sah, die gen Süden zogen oder ihn manchmal ein ganz spezieller Lichteinfall grundlos zum Weinen brachte. Wir bereiten uns wieder einmal auf den Winterschlaf vor …
    Obwohl es auf der Farm von Frühjahr bis Herbst immer viel zu tun gab, hatte Will Hanlon seiner Frau mehr als einmal gesagt, dass ein Junge auch Zeit zum Angeln brauche – selbst wenn er dann nicht angeln ging, sondern etwas anderes machte. Wenn Mike von der Schule heimkam, legte er als Erstes seine Bücher auf den Fernseher im Wohnzimmer, machte sich etwas zu essen (ganz besonders mochte er Erdnussbutter-Zwiebel-Sandwiches, was seine Mutter jedes Mal verzweifeln ließ) und las dann die Zettel, die sein Vater ihm hinterlassen hatte und auf denen er Mike sagte, wo er, Will, gerade war und welche Aufgaben Mike an diesem Tag zu erledigen hatte: Unkraut jäten, Körbe von A nach B tragen, den Hof fegen etc. Aber an mindestens einem Schultag pro Woche – manchmal auch an zweien – fand Mike keine Zettel seines Vaters vor, und an diesen Tagen ging Mike angeln – selbst wenn er dann etwas anderes machte. Das waren tolle Tage … Tage, an denen er nirgendwohin musste und demzufolge auch keine Eile verspürte, dorthin zu kommen.
    Hin und wieder legte sein Vater ihm auch Zettel anderen Inhalts hin. »Heute keine Arbeiten für dich«, stand beispielsweise auf einem davon. »Geh rüber nach Old Cape und schau dir die Straßenbahngleise an.« Mike ging in die Siedlung, fand die Straße, die sein Vater gemeint hatte, und staunte über die alten Gleise mitten darauf und über die Vorstellung, dass hier einst Züge durch die Straßen gefahren waren. Am Abend unterhielten sie sich dann über Straßenbahnen, und sein Vater zeigte ihm Fotos in seinem Album, auf denen die Straßenbahnen zu sehen waren – eine komische Stange führte vom Dach des Wagens zu einer elektrischen Oberleitung, und an den Wagenseiten waren Zigarettenreklamen. Ein anderes Mal hatte er Mike in den Memorial Park, in dem auch der Wasserturm stand, zum Vogelbad geschickt; und wieder ein anderes Mal war er mit ihm zusammen ins Gerichtsgebäude gegangen, um ihm eine grausige Vorrichtung zu zeigen, die Chief Borton auf dem Dachboden gefunden hatte. Es war ein sogenannter »Landstreicher-Stuhl« aus Gusseisen. An den Armlehnen und Beinen waren Lederriemen angebracht, und aus Sitz und Rückenlehne ragten runde Köpfe hervor. Das Ding erinnerte Mike an ein Foto des elektrischen Stuhls in Sing Sing, das er in irgendeinem Buch gesehen hatte. Chief Borton erlaubte Mike, sich auf diesen Stuhl zu setzen, und schnallte ihn mithilfe der Lederriemen darauf fest.
    Nachdem das aufregende Gefühl, in Fesseln gelegt zu sein, etwas abgeklungen war, hatte Mike seinen Vater und Chief Borton fragend angesehen, weil er nicht begreifen konnte, warum dieser Stuhl eine so schreckliche Strafe für die Vagabunden gewesen war, die in den Zwanziger-und Dreißigerjahren in die Stadt gekommen waren. Man saß wegen der Knöpfe zwar etwas unbequem, und die Fesseln an Hand- und Fußgelenken verhinderten, dass man eine bequemere Position einnehmen konnte, aber …
    »Na ja, du bist ein kleiner Junge«, hatte Borton lachend gesagt. »Wie viel wiegst du? So siebzig, achtzig Pfund? Die meisten Landstreicher, die Sheriff Sully in diesen Stuhl setzte, wogen etwa das Doppelte. Nach einer Stunde wurde ihnen die Position etwas unbequem, nach zwei oder drei Stunden sehr unbequem,

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