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Es: Roman

Es: Roman

Titel: Es: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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verfaulen, wenn diese Kreatur seine nackte Haut berührte. Dieser Gedanke riss ihn aus seiner Erstarrung. Er rutschte auf Händen und Knien ein Stück zurück, dann drehte er sich um und kroch so schnell er konnte auf das Ende der Veranda zu. Schmale Sonnenstrahlen, die durch Risse in den Verandabrettern fielen, zauberten ein Streifenmuster auf sein Gesicht. Sein Kopf zerriss staubige Spinnweben, die sich in seinem Haar verfingen. Er blickte über die Schulter hinweg und sah, dass der Aussätzige schon halb aus dem Fenster gekrochen war.
    »Es wird dir nichts nutzen wegzurennen, Eddie«, rief der Aussätzige.
    Eddie hatte das Ende der Veranda erreicht. Hier war ein Drahtgeflecht angebracht, durch das die Sonne schien und kleine Diamanten aus Licht auf seine Wangen und Stirn warf. Ohne zu zögern, senkte Eddie den Kopf und warf sich mit dem ganzen Körper dagegen. Rostige billige Nägel gaben knirschend nach, und das ganze Gitter flog heraus. Dahinter war ein Gestrüpp von Rosenbüschen, und Eddie bahnte sich einen Weg hindurch, ohne die Dornen zu spüren, die ihm Arme, Wangen und Hals zerkratzten.
    Dann drehte er sich um und wich mit zitternden Knien weiter zurück. Er zog sein Asthma-Spray aus der Tasche, schob es in den Mund und drückte auf die Flasche. Das war doch bestimmt nicht wirklich passiert? Er hatte an jenen Landstreicher gedacht, und seine Fantasie hatte … hatte ihm einfach
    (einen Streich gespielt)
    einen Film gezeigt, einen Horrorfilm wie die bei den Samstagsmatineen im Bijou oder Gem oder Aladdin, wo man Frankenstein und den Wolfsmenschen sehen konnte. Na klar, das war die Erklärung. Du hast einfach Angst gehabt, du Arschloch!
    Er hatte sogar noch Zeit, über seine unerwartet blühende Fantasie den Kopf zu schütteln und etwas zittrig zu lachen, bevor die verfaulten Hände unter der Veranda hervorschossen und mit blindwütiger Heftigkeit die noch ziemlich frühlingskahlen Rosenbüsche umklammerten, daran zogen, rissen und Blutstropfen darauf zurückließen.
    Eddie kreischte.
    Der Aussätzige kroch unter der Veranda hervor. Er trug ein Clownskostüm – ein Clownskostüm mit großen orangefarbenen Pompons auf der Vorderseite. Er entdeckte Eddie und grinste. Sein halber Mund öffnete sich, die Zunge kam hervor. Eddie kreischte wieder, aber niemand hätte den atemlosen Schrei des Jungen durch das Dröhnen der Diesellok auf dem Bahnhof hindurch hören können. Die Zunge des Aussätzigen war etwa einen Meter lang und aufgerollt wie eine Partytröte. Sie lief nach unten hin pfeilförmig zu, und die Spitze schleifte im Schmutz. Schaum, dicker, klebriger, gelber Schaum, tropfte von ihr herab. Insekten krabbelten auf ihr herum.
    Die Rosenbüsche hatten die ersten Spuren von Frühlingsgrün gezeigt, als Eddie sich einen Weg hindurchgebahnt hatte. Jetzt war das Grün vollständig verschwunden; ihre grünen Blätter waren verdorrt und schwarz.
    »Blasen«, flüsterte der Aussätzige und richtete sich auf.
    Eddie rannte auf sein Fahrrad zu. Es war fast die gleiche Situation wie damals, als er vor dem Landstreicher davongerannt war, nur hatte sie jetzt etwas von einem Albtraum an sich, wo man nur entsetzlich langsam vorankommt, obwohl man versucht, ganz schnell zu rennen … und wo man hört, dass einem etwas – ein Es – immer näher kommt. Roch man nicht seinen stinkenden Atem, so wie Eddie ihn gerade roch?
    Eine wilde Hoffnung durchzuckte ihn plötzlich: Vielleicht war das ein Albtraum. Er würde gleich in seinem Bett aufwachen, schweißgebadet, zitternd, vielleicht sogar schreiend … aber lebendig. In Sicherheit. Rasch verwarf er diesen Gedanken wieder. Ein solcher Trost war verhängnisvoll, tödlich. Es war kein Traum.
    Er versuchte nicht, sofort auf sein Rad zu steigen, stattdessen packte er es an der Lenkstange und schob es rennend neben sich her, den Kopf tief vornübergebeugt. Er hatte das Gefühl, als würde er ertrinken, aber nicht in einem Gewässer, sondern in seiner eigenen Brust.
    »Blasen«, krächzte der Aussätzige wieder. »Komm jederzeit zurück, Eddie. Und bring deine Freunde mit.«
    Kalte, verfaulende Hände schienen seinen Nacken zu berühren, aber vielleicht waren das nur die Spinnweben, die sich in seinem Haar verfangen hatten. Er sprang aufs Rad und trat in die Pedale, so schnell er konnte, ohne darauf zu achten, dass ihm die Kehle wieder eng wurde, ohne sich nur im Geringsten um sein Asthma zu kümmern, ohne sich umzuschauen. Erst als er fast zu Hause war, wagte er einen Blick

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