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Es: Roman

Es: Roman

Titel: Es: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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Schild. Es sieht genauso aus wie all die anderen, die an den Stadtgrenzen der mehr als sechshundert Städte Maines aufgestellt sind, und doch hat er beim Anblick dieses Schildes einen Stich im Herzen verspürt!
    Penobscot
County
D
E
R
R
Y
Maine
    Darunter eine Elks-Plakette, ein Schild des Rotary Clubs und – aller guten Dinge sind drei – ein Lions-Schild. Dahinter führt die Route 7 unverändert geradeaus durch Nadelwälder. In diesem seltsamen stummen Licht bei Tagesanbruch sehen die Bäume so unwirklich aus wie blaugrauer Zigarettenrauch in der stehenden Luft eines stillen Zimmers.
    Derry, denkt er. Gott steh mir bei. Derry. Hol’s der Geier.
    Er befindet sich auf der Route 7. Noch acht Kilometer, und er wird an der Farm der Rhulins vorbeifahren – wenn es sie noch gibt -, wo seine Mutter immer Eier und Gemüse kaufte. Drei Kilometer weiter geht die Route 7 in die Witcham Road über, die wiederum – Gott sei’s gelobt, gepfiffen und getrommelt – in die Witcham Road übergeht. Und irgendwo zwischen den Rhulins und der Stadt wird er zuerst am ehemaligen Haus der Bowers und dann an dem der Hanlons vorbeifahren. Etwa anderthalb Kilometer nach dem Haus der Hanlons wird er das erste Funkeln des Kenduskeag sehen, und dann kommt auch schon das grüne Dickicht jener Niederung in Sicht, die aus einem unerfindlichen Grund »Barrens«, Ödland, heißt.
    Ich weiß nicht, ob ich das alles ertragen kann, denkt Richie. Sehen wir der Wahrheit doch ins Gesicht, Leute: Ich weiß einfach nicht, ob ich es ertrage.
    Die ganze Nacht ist wie im Traum vergangen; solange er unterwegs gewesen ist, sich vorwärtsbewegt hat, Kilometer zurückgelegt hat, hielt dieser Traum an. Aber jetzt hat er angehalten – besser gesagt, das Schild hat ihn angehalten – und die Wirklichkeit bricht wieder über ihn herein: der Traum war die Wirklichkeit. Derry ist die Wirklichkeit.
    Er kann sich der Erinnerungen nicht erwehren, und diese Erinnerungen werden ihn schließlich um den Verstand bringen, denkt er, und er beißt sich auf die Unterlippe und presst seine Hände fest gegeneinander, so als wollte er damit verhindern, auseinandergerissen zu werden. Er fühlt, dass das bald geschehen wird, und obwohl ein kleiner, verrückter Teil von ihm sich direkt auf die bevorstehenden Ereignisse freut, wird er doch im Wesentlichen von der wahnsinnigen Angst beherrscht, wie er die nächsten Tage überstehen soll. Er …
    Und jetzt bricht sein Gedankengang wieder ab.
    Ein Hirsch läuft auf die Straße. Er kann das leise Aufsetzen der weichen Hufe auf dem Asphalt hören.
    Rich hält einen Augenblick lang den Atem an. Er sieht das Tier verblüfft an, und ein Teil von ihm denkt, dass er so etwas noch nie auf dem Rodeo Drive gesehen hat. Nein – um so etwas zu sehen, musste er heimkommen.
    Der Hirsch erweist sich als Reh (»Doe, a deer, a female deer« singt eine fröhliche Stimme das alte Kinderlied in seinem Kopf, »Hirschkuh, ein Hirsch, ein weiblicher Hirsch«), das aus dem Wald rechts von der Straße gekommen ist. Mitten auf der Route 7 bleibt es stehen, die Vorderläufe auf einer Seite der durchbrochenen gelben Linie, die Hinterläufe auf der anderen. Mit seinen sanften dunkelbraunen Augen betrachtet es Rich Tozier aufmerksam, aber ohne Furcht.
    Er sieht es verwundert an. Vielleicht ist das ein Zeichen oder ein Omen oder irgend so was, denkt Rich. Und plötzlich fällt ihm völlig unerwartet Mr. Nell ein. Wie hat der Mann sie an jenem Tag erschreckt, als er im Anschluss an Bills Geschichte und Bens Geschichte und Eddies Geschichte plötzlich wie ein Donnergott vor ihnen stand! Der ganzen Bande war das Herz mächtig in die Hose gerutscht.
    Die Augen immer noch auf das Reh gerichtet, holt Rich tief Luft und spricht plötzlich mit einer seiner Stimmen … zum ersten Mal seit über fünfundzwanzig Jahren mit der Stimme-des-irischen-Bullen, die er nach jenem denkwürdigen Tag in sein Repertoire aufgenommen hatte. Sie zerreißt die morgendliche Stille lauter und mächtiger, als Rich geglaubt hätte:
    »Himmel, Arsch und Zwirn! Was macht ein so hübsches Rehmädel wie du nur hier draußen in dieser Wildnis? Bei allen Heiligen!«
    Noch ehe das Echo verklungen ist, noch ehe der erste aufgeschreckte Eichelhäher sich lautstark empört, hat das Reh seinen Wedel hochgestellt und ist zwischen den gespenstischen Kiefern auf der linken Straßenseite verschwunden; nur ein kleines dampfendes Häuflein Kot ist zurückgeblieben, sozusagen als Beweis dafür, dass Richie Tozier

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