Es: Roman
und bei dem Gedanken, dass dieses Monster ihr Gesicht mit dem gezackten Hals der Kristallvase zerschneiden würde, gab sie endlich nach.
»Sie ist heimgefahren«, schluchzte sie. »In ihre Heimatstadt. Der Ort heißt Derry, in Maine. Mehr weiß ich auch nicht. Bitte geh jetzt. Bitte, Tom, bitte!«
»Wie kommt sie dorthin?«
»Sie hat einen Bus nach Milwaukee genommen. Von dort wollte sie fliegen.«
»So ein verdammtes Drecksluder! «, brüllte Tom, richtete sich auf und lief ziellos im Halbkreis durchs Zimmer. Sein Gesichtsausdruck war der eines Wahnsinnigen. »Dieses Drecksluder, diese billige Nutte, diese verdammte Fotze! « Plötzlich packte er die zarte, kunstvoll geschnitzte Holzskulptur eines Paars beim Liebesakt, die Kay seit ihrem zweiundzwanzigsten Lebensjahr besaß, und schleuderte sie in den Kamin, wo sie zerbrach. Er trat dicht an den Spiegel über dem Kamin heran und starrte sich einen Moment lang an wie ein Gespenst. Dann wandte er sich wieder zu ihr um. Er zog etwas aus der Tasche seines Sportsakkos hervor, und sie stellte überrascht fest, dass es ein Taschenbuch war. Der Einband war schwarz, abgesehen von den roten Buchstaben des Titels und dem Bild einiger junger Leute auf einer hohen Felsklippe über einem Fluss. Die schwarzen Stromschnellen.
»Wer ist dieser Scheißkerl?«
»Was? Wen meinst du?«
»Denbrough. Denbrough.« Er schwenkte das Buch ungeduldig vor ihrem Gesicht hin und her, dann schlug er damit kräftig zu. Ihre Wange glühte vor Schmerz. »Wer ist dieser Kerl?«
Ihr ging ein Licht auf.
»Als Kinder waren sie Freunde. Sie sind beide in Derry aufgewachsen.«
Er schlug sie wieder mit dem Buch, diesmal auf die andere Wange.
»Bitte«, schluchzte sie. »Bitte, Tom.«
Er zog einen frühamerikanischen Stuhl mit dünnen Beinen zu sich her, setzte sich rittlings darauf und starrte sie über die Rückenlehne hinweg an. Der Stuhl knarrte bedenklich unter seinem Gewicht.
»Hör mir gut zu«, sagte er. »Hör deinem guten alten Onkel Tommy jetzt mal ganz gut zu. Hörst du zu, du verfickte Emanze?«
Sie nickte. Sie hatte den Geschmack von Blut in der Kehle. Ihre Schulter brannte wie Feuer. Sie hoffte inbrünstig, dass sie nur ausgerenkt und nicht gebrochen war. Aber das war nicht das Schlimmste. Mein Gesicht … er wollte mir das Gesicht zerschneiden ...
»Wenn du die Polizei anrufst und erzählst, ich sei hier bei dir gewesen, werde ich alles abstreiten. Du kannst nicht das Geringste beweisen. Dein Dienstmädchen hat seinen freien Tag, wir sind ganz unter uns. Natürlich kann es sein, dass sie mich trotzdem verhaften, möglich ist schließlich alles, nicht wahr?«
Sie nickte wieder, so als wäre ihr Kopf an einer Schnur befestigt.
»Ja, möglich ist alles. Aber in diesem Falle würde ich gegen Kaution freikommen, und dann würde ich auf direktem Wege hierher eilen. Deine Titten wird man auf dem Küchentisch finden, deine Augen in diesem verdammten Aquarium. Hast du mich verstanden? Hast du deinen guten alten Onkel Tommy verstanden?«
Kay brach wieder in Tränen aus. Jene Schnur an ihrem Kopf funktionierte noch: Sie nickte immer wieder.
»Warum?«
»Was? Ich …«
»Wach auf, um Himmels willen! Warum ist sie dorthin gefahren?«
»Ich weiß es nicht«, schrie Kay fast.
Er schwenkte die abgebrochene Vase vor ihrer Nase hin und her.
»Ich weiß es nicht«, wiederholte sie leiser. »Bitte. Sie hat’s mir nicht erzählt. Bitte … bitte tu mir nichts mehr.«
Er warf die Vase in einen Papierkorb und stand auf.
Er ging, ohne sich noch einmal umzusehen, den Kopf gesenkt, ein großer schlurfender Bär von einem Mann.
Kay lief hinterher und verschloss die Tür. Danach ging sie in die Küche und schloss auch diese Tür ab. Sie wartete kurz und humpelte dann die Treppe hinauf, so schnell ihr schmerzender Magen es ihr erlaubte, und machte die Glastüren zur oberen Veranda zu – es war immerhin nicht ganz auszuschließen, dass er an einem der Pfeiler hochklettern und auf diesem Wege wieder ins Haus kommen würde. Er war zwar verletzt – aber er war auch wahnsinnig.
Dann ging sie zum ersten Mal zum Telefon und legte ihre Hand auf den Hörer, bis ihr plötzlich einfiel, was er gesagt hatte.
In diesem Falle würde ich gegen Kaution freikommen, und dann würde ich auf direktem Wege hierher eilen... deine Titten auf dem Küchentisch, deine Augen in diesem verdammten Aquarium.
Sie hatte ihre Hand vom Hörer zurückgerissen.
Sie ging ins Bad und betrachtete ihre rote geschwollene Nase,
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