Es: Roman
ihr blaues Auge. Sie weinte nicht; ihre Scham und ihr Entsetzen waren für Tränen zu groß. O Bev, Liebling, ich habe mein Bestes getan, dachte sie. Aber mein Gesicht … er drohte, mir das Gesicht zu zerschneiden …
In ihrem Arzneimittelschränkchen waren Darvon und Valium. Sie schwankte, was sie einnehmen sollte, und schluckte schließlich von beidem je eine Tablette. Danach suchte sie das Sisters-of-Mercy-Krankenhaus auf und ließ sich dort von Dr. Geffin verarzten, der im Augenblick der einzige Mann war, dem sie nicht die Pest an den Hals wünschte.
Von dort aus ging sie direkt wieder nach Hause.
Sie ging zum Fenster ihres Schlafzimmers und schaute hinaus. Die Sonne stand schon tief am Horizont, und an der Ostküste würde es jetzt schon fast dunkel sein – in Maine war es fast sieben Uhr abends.
Du kannst später entscheiden, ob du die Bullen anrufen sollst. Das Wichtigste ist jetzt, Beverly zu warnen.
Alles wäre so viel einfacher, dachte Kay, wenn du mir gesagt hättest, wo du zu erreichen sein würdest, Beverly. Aber ich schätze, das wusstest du selbst noch nicht.
Obwohl sie vor zwei Jahren das Rauchen aufgegeben hatte, bewahrte sie für Notfälle eine Packung Pall Mall in ihrer Schreibtischschublade auf. Nun, dies war bestimmt ein Notfall. Sie holte eine Zigarette heraus und zündete sie an. Sie hatte etwa im Dezember 1982 zuletzt aus dieser Packung geraucht, und die Zigarette schmeckte ausgesprochen schal. Sie zog trotzdem kräftig daran und kniff ein Auge gegen den Rauch zu, das andere war dank Tom Rogan ohnehin zugeschwollen.
Mit der linken Hand – der Hundesohn hatte ihre rechte Schulter ausgerenkt – wählte sie ungeschickt die Nummer der Fernsprechauskunft in Maine und bat um Name und Nummer jedes Hotels und Motels in Derry.
»Ma’am, das wird aber eine Weile dauern«, sagte das Fräulein bei der Auskunft.
»Es wird sogar noch länger dauern, Schwester«, erwiderte Kay. »Ich muss mit der linken Hand schreiben. Meine rechte hat gerade Urlaub.«
»Es ist nicht üblich …«
»Jetzt hören Sie mir mal zu«, erklärte Kay nicht unfreundlich. »Ich rufe aus Chicago an, und ich versuche eine Freundin zu erreichen, die gerade ihren Mann verlassen hat und in ihre Heimatstadt Derry gefahren ist. Ihr Mann weiß, wo sie ist, weil er mich halb tot geprügelt hat, um an diese Information zu kommen. Dieser Mann ist ein Psychopath. Sie muss wissen, dass er kommt.«
Nach langer Pause sagte das Fräulein von der Auskunft mit entschieden wärmerer Stimme: »Ich glaube, was Sie brauchten, wäre die Nummer der Polizei in Derry.«
»Gut, zur Not nehme ich die auch. Aber sie muss gewarnt werden«, sagte Kay. »Und …« Sie dachte an Toms Schnittwunden, die Schwellungen auf seiner Stirn und Schläfe, an sein Humpeln und die geschwollenen Lippen. »Und wenn sie weiß, dass er kommt, reicht das vielleicht schon.«
Wieder trat ein längeres Schweigen ein.
»Sind Sie noch da?«, fragte Kay.
»Arlington Motor Lodge«, sagte das Fräulein. »643-8146. Bassey Park Inn. 648-4083. Bunyan Motor Court …«
»Bitte etwas langsamer«, bat Kay, während sie ungeschickt mitschrieb. Sie hielt Ausschau nach einem Aschenbecher, sah keinen und drückte die Zigarette auf der Schreibunterlage aus. »Okay, jetzt kann’s weitergehen.«
»Clarendon Inn …«
4
Beim fünften Anruf konnte Kay wenigstens einen Teilerfolg verbuchen. Beverly Rogan war im Derry Town House gemeldet. Nur ein Teilerfolg war es, weil Beverly nicht in ihrem Zimmer war. Kay hinterließ ihren Namen und ihre Telefonnummer und eine Nachricht, dass Beverly sie anrufen sollte, sobald sie ins Hotel zurückkommen würde, ganz egal, wie spät es sein mochte. Es wäre sehr dringend.
Der Mann am Empfang wiederholte ihre Nachricht, und dann ging Kay nach oben und schluckte noch ein Valium. Sie legte sich hin und versuchte einzuschlafen. Aber es gelang ihr nicht. Es tut mir so leid, Bev, dachte sie, vom Valium etwas benommen. Als er das von meinem Gesicht sagte … das konnte ich einfach nicht ertragen. Ruf bald an, Bev. Bitte ruf bald an. Und sei auf der Hut vor dem verrückten Hurensohn, den du geheiratet hast.
5
Der verrückte Hurensohn, den Bev geheiratet hatte, hatte bessere Reiseverbindungen als sie, weil er vom O’Hare abflog, einem der größten Passagierflughäfen der USA. Während des Fluges las er immer wieder die kurzen Angaben über den Verfasser am Ende von Die schwarzen Stromschnellen. Dort hieß es, dass William Denbrough aus
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