Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Es: Roman

Es: Roman

Titel: Es: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
Vom Netzwerk:
Hand, um ihr zu zeigen, dass es ihm gut ging, und als sie zurückwinkte, fühlte er sich mit einem Mal gut – und voller Hoffnung.
    Er drehte sich um und legte sich flach auf das schwankende Pflaster, um sein Gewicht möglichst gleichmäßig zu verteilen – ganz so, wie auf sehr dünnem Eis. Er streckte seine Arme hinab, Bev packte ihn an den Handgelenken, und mit aller Kraft – die sich anfühlte, als sei es die letzte, die ihm verblieben war – zog er sie heraus. Die Sonne kam hinter einem Berg von Schäfchenwolken hervor und gab ihnen ihre Schatten zurück. Beverly blickte zum Himmel, sah dann Bill in die Augen und lächelte.
    »Ich liebe dich, Bill«, sagte sie. »Und ich hoffe von ganzem Herzen, dass sie wieder gesund wird.«
    »D-D-Danke, Bevvie«, sagte er, und sein Lächeln trieb ihr plötzlich Tränen in die Augen. Er schloss sie in die Arme, und die Menschen hinter der Absperrung applaudierten. Ein Fotograf der Derry News machte einen Schnappschuss, der am 2. Juni in der Zeitung erschien, die in Bangor gedruckt werden musste, weil die Druckerei in Derry starke Wasserschäden erlitten hatte. Der kurze Bildtext war so zutreffend, dass Bill das Foto ausschnitt und jahrelang in der Brieftasche mit sich trug: ÜBERLEBENDE, lautete die Bildunterschrift. Das war alles, aber es sagte genug.
    Es war sechs Minuten vor elf in Derry, Maine.

7
     
    Derry / Später am selben Tag
     
    Der Glaskorridor zwischen der Erwachsenenbücherei und der Kinderabteilung explodierte um 10.30 Uhr. Um 10.33 Uhr hörte es auf zu regnen. Der Regen ließ nicht etwa allmählich nach, nein, er hörte von einer Minute zur anderen auf, so als hätte »jemand dort oben« einen Schalter umgelegt. Der Wind hatte bereits nachgelassen, und er flaute so abrupt ab, dass die Menschen einander bange, von Aberglauben erfüllte Blicke zuwarfen. Es klang, als würde eine Boeing 747 ihre Triebwerke abschalten, nachdem sie sicher in ihr Gate eingerollt war. Um 10.47 Uhr kam zum ersten Mal an diesem Tag die Sonne durch. Am Nachmittag lösten sich auch die letzten Wolken auf, und der Tag wurde klar und heiß – um 15.30 Uhr zeigte die Quecksilbersäule des Orange-Crush-Thermometers vor der Tür des Trödelladens »Secondhand Rose, Secondhand Clothes« 29°C an – die höchste Temperatur dieses Frühlings. Die Menschen gingen wie Zombies durch die Straßen, ohne viel zu reden. Nahezu alle Gesichter trugen den gleichen Ausdruck: eine Art einfältiger Verwunderung, die komisch gewirkt hätte, wenn sie nicht zugleich so mitleiderregend gewesen wäre. Bis zum Abend waren zahlreiche Reporter vom ABC, CBS, NBC und CNN in Derry eingetroffen, und erst sie brachten zumindest eine Version der Wahrheit zu den meisten Leuten, machten das, was geschehen war, real für sie … obschon es auch unter diesen Menschen einige gab, die vermutet haben mochten, dass Realität ein in höchstem Maße misstrauenswürdiges Konzept ist, etwas, was vielleicht nicht haltbarer ist als ein Untergrund aus Stoff, gespannt über ein Spinnennetz. Am nächsten Vormittag würden Bryant Gumble und Willard Scott von der Today-Show in Derry sein. Während der Sendung würde Gumble Andrew Keene interviewen. »Der Wasserturm ist einfach umgekippt und den Hügel runtergewalzt«, würde Andrew sagen. »Es war der Wahnsinn. Verstehen Sie? Steven Spielberg würde sich die Finger danach lecken, verstehen Sie? He, ich hab Sie übrigens schon oft im Fernsehen gesehen und ich dachte immer, Sie wären … na ja … ein ganzes Stück größer.« Sich selbst und die Nachbarn auf dem Bildschirm zu sehen – das würde es real machen. Es würde ihnen einen Platz zuweisen, von dem aus sie diese schlimmen, nicht greifbaren Dinge begreifen konnten. Der Sturm war ein SELTSAMES SPIEL DER NATUR gewesen. In den Tagen NACH DEM KILLER-STURM stieg DIE ZAHL DER TODESOPFER an. Es war zweifellos DER SCHLIMMSTE FRÜHJAHRSSTURM IN DER GESCHICHTE MAINES gewesen. All diese Schlagzeilen, so schrecklich sie auch sein mochten, waren nützlich und hilfreich – sie halfen dabei, die zentrale Seltsamkeit der Ereignisse abzudämpfen … wobei Seltsamkeit noch ein sehr milder Ausdruck war. Irrsinn oder Wahnsinn – das hätte schon besser gepasst. Sich selbst auf dem Bildschirm zu sehen, ließ ihnen das Geschehen konkreter, weniger irrsinnig erscheinen. Aber in den Stunden, ehe die Reporter von Rundfunk und Fernsehen anrückten, liefen die Bewohner von Derry mit ungläubigen, fassungslosen Gesichtern durch ihre schlammigen, mit

Weitere Kostenlose Bücher