Es soll Liebe sein: Roman (German Edition)
wortkarger, kritischer Mann. -Meine Mutter war, zu diesem Zeitpunkt, still und unglaublich unzugänglich. Ich wuchs unter dem entschiedenen Eindruck auf, dass mein Vater das Sagen hatte und meine Mutter seine reizbare Gefangene war. Ihre rätselhafte Beziehung zu ihm umgab sie wie eine Aura und ließ nur wenig Raum für mich. Sie trennten sich, als ich Teenager war, und ich empfand nur milde Erleichterung. Ich war froh, unser erstarrtes Haus verlassen und in eine weniger anspruchsvolle, aber gemütlichere Wohnung in der Nähe der Bahn in Gospel Oak ziehen zu können. Ohne meinen Vater konnte ich richtig atmen. Ich stellte fest, dass ich mit der Schwermut meiner Mutter recht gut leben konnte. Man kann Schwermut ignorieren.
Später lernte ich, die zwischen meinen Eltern bestehende Traurigkeit besser zu verstehen, ohne auch nur annähernd vermuten zu können, was sie bewirkt hatte. Als ich erwachsen war, drängte Phoebe mich, mit meiner Mutter in Kontakt zu bleiben. Hauptsächlich Phoebe zuliebe rief ich sie ungefähr ein Mal pro Woche an. Es war Schwerstarbeit. Ruth, meine Mutter, besaß einfach kein Talent für oberflächliche Unterhaltungen. Wir waren auf kühle Art höflich, und ich konnte nicht umhin, an die Szene zu denken, in der Winnie Pu versucht, Eeyore aufzuheitern.
Meinem Vater gegenüber durfte ich Winnie Pu nicht erwähnen. Er verbannte das Buch während meiner Kindheit mit der Begründung, es sei »elitär und anthropomorphisch«. Ja, er war wirklich eine Stimmungskanone. Wir trafen uns damals ebenso wie heute. Er führt mich zwei Mal im Jahr, an Weihnachten und am Geburtstag, zu Simpson’s in the Strand zum Essen aus. Er zeigte gewöhnlich nur schwaches Interesse an meiner Karriere. Und ich war stolz, meine verschiedenen akademischen und beruflichen Triumphe aufzuzählen, bis ich erkannte, dass er nur insoweit Interesse zeigte, wie er es auch gegenüber einem seiner Patienten gezeigt hätte. Ich hatte mein ganzes Leben lang versucht, ihn zu beeindrucken, aber es war reine Zeitverschwendung. Ich glaube nicht, dass er jemals Kinder haben wollte. Welche launischen Hitzezuckungen hatten mich hervorgebracht? Ich kann mich an kein einziges sexuelles Erschauern zwischen ihm und meiner Mutter erinnern.
Alle Wärme und Liebe meiner Kindheit (und der Zugriff auf unpassende Werke von A. A. Milne, E. Nesbit und C. S. Lewis) wurden mir im Nachbarhaus gewährt. Meine Eltern lebten isoliert und freundeten sich nie mit den Nachbarn an, aber sobald ich mir überhaupt irgendeiner Sehnsucht bewusst wurde, sehnte ich mich nach dem Garten nebenan wie die verbannte Peri-Fee an den Toren zum Paradies.
Das Heim der Darling-Familie pulsierte vor Lärm und wogte vor Chaos. Ich pflegte morgens in unserer Fensternische zu sitzen und dem Drama zuzusehen, wie Jimmy Darling zur Arbeit ging. Jimmy war ein gut aussehender, blühender, ungestümer Mann mit einer lauten und melodischen Stimme (wir hörten ihn häufig durch die Mauer singen) und einem fast opernhaften Lachen. Er war Venerologe am Royal Free Hospital. Er platzte immer Zettel verstreuend aus der Haustür und rief seiner Frau und den zwei kleinen Söhnen über die Schulter etwas zu. Manchmal fluchte er, weil er etwas vergessen hatte, und schoss wieder hinein. Manchmal lief er zurück, um seiner Frau und den Jungen noch eine bärige Umarmung zu verabreichen. Obwohl er sehr beschäftigt war und obwohl meine Eltern nur ein Mal mit ihm gesprochen hatten, um sich über ein Baumhaus zu beschweren, das er gebaut hatte, vergaß Jimmy nie, dem einsamen kleinen Mädchen im Fenster zuzuwinken. Er war der freundlichste Mann, den ich je kennen lernte.
Und ich bewunderte seine Frau, die mich stets mit einem liebevollen Lächeln und einem Hallo bedachte, wenn wir uns auf der Straße begegneten. Was kann ich über Phoebe Darling sagen? Selbst den größten Schriftstellern fällt es schwer, wahre Güte zu beschreiben, sodass ich auf laue Klischees zurückgreifen muss wie »liebevoll« und »herzlich« – welche die reine Essenz Phoebes in keiner Weise verdeutlichen können. Ich kann nicht über den Duft einer Rose schreiben.
Sie muss in jener Zeit auf dem Höhepunkt ihrer besonderen Art von Schönheit gewesen sein. Sie war schmächtig und dunkel und sanft, und ihre braunen Samtaugen waren übervoll achtsamen Humors. Ich beobachtete interessiert, wie oft Jimmy sie auf die Lippen küsste und sie in die Arme nahm. Und beide Eltern vergötterten ihre dunkeläugigen Söhne. Die
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