Es sterben immer drei
gewesen.
Marlene lenkte ihr Pferd in die entgegengesetzte Richtung, bis sie an den Rand des Schießplatzes kam, und wartete, dass Stella zu ihr aufschloss. Sie zeigte den Hang hinunter, auf einen Haufen loser Zweige an einem Baum, die auf den ersten Blick zufällig von Wind und Wetter dorthin geweht zu sein schienen. Bei genauerer Betrachtung erwiesen sie sich aber als sorgfältig zusammengesucht und fein säuberlich aufgebaut, mit dem Baum als Stütze. »Schau dir das an«, wisperte Marlene, ganz so, als legte sie Wert darauf, dass Andreas ihre Unterhaltung nicht mitbekam, obwohl schon längst nichts mehr von ihm zu sehenwar. »Ein Unterstand für Jäger. Darin verstecken sie sich und warten auf vorbeiziehende Vögel. Drosseln, Ringeltauben und manchmal Fasane. Eben, was die hier an Kleinzeug so jagen.«
Stella kannte nur die massiv aus Brettern gebauten Hochstände in deutschen Jagdgebieten, mit weitem Blick über Felder und Waldränder. Ideale Abschussbasen für Rotwild. Von diesem provisorischen Versteck hier konnte ein Jäger höchstens ins nächste Gebüsch feuern. Oder die Vögel vom Himmel holen. Dass der Unterstand genutzt wurde, zeigten die knallorangefarbenen Plastikhülsen billiger Schrotgeschosse, die verstreut in der Gegend lagen, obwohl auch in Italien die Regel galt, dass die Jäger sie nach Gebrauch wieder einsammeln und im Hausmüll entsorgen müssen. Den Hang abwärts konnte man höchstens 50 Meter weit sehen, aber unten einen Bach gluckern hören. Auf allen Seiten jenseits der Pfade schottete das undurchdringliche Dornröschengestrüpp aus Schlehen, Brombeeren und Hagebutten den Hang vor Einblicken ab.
»Der Maresciallo sollte hier mal seine Suchhunde einsetzen«, sagte Marlene.
»Warum?«
Sie zuckte mit den Schultern. »Instinkt.«
»Dann sag es ihm doch.«
»Ich finde, das solltest du übernehmen. Du unterhältst doch von uns allen die besten Beziehungen zu ihm.« Marlene schaute sich um, als wollte sie sich vergewissern, dass auch wirklich niemand zuhörte. »Aber versprich mir, dass du ihm nicht verrätst, wer dir den Ort gezeigt hat.«
Von Geheimnisschwüren unter Frauen hielt Stella überhaupt nichts. Bevor sie fragen konnte, was das jetzt wieder sollte, fiel Marlene in Galopp, und Stella hatte alle Hände voll zu tun, Angelina daran zu hindern, ihr im selben Tempo zu folgen.
22
Dass sie Marlene nicht dazu hatte überreden können, ihre ominösen Andeutungen genauer zu erklären, ärgerte Stella für den Rest des Tages. »Das soll dein Maresciallo selbst herausfinden«, war ihr einziger Kommentar geblieben.
Zusätzlich nervte Otto, der vom Krankenbesuch bei Luis mit der festen Überzeugung zurückkehrte, nur die Olivenöl-Mafia könne für den Mord an Valerie verantwortlich gemacht werden. Er hatte sich über den Stand der Recherchen informiert und fand die von Luis gesammelten Fakten äußerst beeindruckend. Immense Zahlenmengen aus den diversen Computern der Contessa, die Luis klugerweise auf einem USB-Stick gesichert hatte, so dass sie durch den Verlust seines Laptops nicht verloren waren. Material, das belegte, jedenfalls nach Luis’ Meinung, die nun auch Ottos Meinung war, dass im großen Stil betrogen wurde. Nicht nur mit falschen Qualitätsangaben und überhöhten Produktionszahlen, sondern auch beim Abkassieren von Fördergeldern. Wer alles davon profitierte, würde nur eine großangelegte Fahndung ergeben, aber außer der Contessa war auf jeden Fall ihr Kompagnon, der werte Signore Cavallo, Nutznießer immenser Steuerabschreibungen. Valerie war auf genau diese Machenschaften gestoßen und hatte dafür mit ihrem Leben bezahlen müssen.
Luis mit seinem gebrochenen Bein hatte dagegen noch mal Glück gehabt, wahrscheinlich weil er ein Mann war und sich stärker hatte wehren können.
Valerie wurde erschossen, erinnerte Stella ihn, dagegen hätte auch Luis sich nicht wehren können.
Dieses Argument konnte Otto nun überhaupt nicht überzeugen. Im Gegenteil. Valerie war mit einem sauteuren großkalibrigen Gewehr erschossen worden, wahrscheinlich mit Laserzielfernrohr und einem höhenverstellbaren Zweibein, derhohen Treffsicherheit nach zu urteilen. Eine staatlich streng kontrollierte Waffe, die jeder Jäger registrieren lassen musste. Kein halbwegs gewitzter Pirschgänger würde es wagen, damit etwas anderes als zum Abschuss freigegebenes Großwild zu erledigen. Nein, dieser Schütze tötete wie ein Sniper, wie ein Seal in Afghanistan, das war kein Amateur, der gelegentlich
Weitere Kostenlose Bücher