Es sterben immer drei
irgendwann mit der Schnabeltasse zu füttern. Warum sollte sie. Das war die Aufgabe einer altgedienten Ehefrau.
Als wollte er sich seines Besitzes vergewissern, griff er quer über den Tisch in den Ausschnitt seiner jungen Freundin und nahm kurz ihre linke Brust in die Hand. Eine Geste, die Stella schon in der Kellerbar bei dem molligen jungen Italiener beobachtet und damals als unverschämt empfunden hatte. Hier fand sie den Griff plötzlich nicht mehr so schlimm. Vielleicht,weil Marlene lachte und ihrem Liebhaber ihr Dekolleté einladend anbot.
Katharina klopfte Kleemann auf die Finger. »Iss endlich«, sagte sie mit rauer Stimme, und Stella befürchtete schon, dass sie gleich weinen würde. Aber das erlaubte sie sich nicht. Karl zog gehorsam seine Hand zurück.
Marlene wickelte Spaghetti auf ihre Gabel und fütterte ihn damit quer über den Tisch. »Gehst du morgen mit mir reiten?«, fragte sie Stella, während Kleemann an ihrer Gabel knabberte. »Heh du, hörst du mich? Ob du morgen mit mir reiten gehst.«
Stella erschrak. Reiten? Das hatte sie seit ihrer Kindheit nicht mehr getan.
Aber das wollte Marlene als Ablehnungsgrund nicht gelten lassen. »Reiten ist wie Rad fahren«, beschied sie. »Man verlernt es nicht.« Katharina öffnete den Kühlschrank, um eine Flasche Mineralwasser zu holen, und drehte ihnen den Rücken zu. Den Moment nutzte Marlene. »Ich will dir was zeigen. Aber psst«, flüsterte sie dramatisch und deutete mit dem Zeigefinger über ihre Schulter Richtung Katharina, die im Getränkefach herumklapperte und nichts hörte. »Das braucht niemand zu wissen.« Karl war von Marlenes Spaghettigabel abgelenkt oder von ihrem Dekolleté, so genau war das nicht zu unterscheiden. Seine Ohren schienen außer Betrieb.
21
Der vertraute Geruch von Pferden, Heu und in Urin getränktem Stroh katapultierte Stella beim Betreten des Stalls schlagartig zurück in ihre Kindheit. Sie liebte Pferdeställe. Den Geruch frischer Pferdeäpfel, die noch von der Körperwärme dampfend ins Stroh kullerten. Das leise Schnauben der Tiere, wenn sie mitden Nüstern in den Hafer bliesen. Das Klirren der Halfter, wenn sie kopfschüttelnd die Fliegen zu vertreiben versuchten. Das Klappern von Hufen auf gepflasterten Gängen.
In geliehenen Jeans von Katharina, die auf dem Boden schleiften, aber an den Hüften spannten, und einem Paar alter Reitstiefel von Marlene, die um ihre Füße schlackerten, aber sich immer noch besser zum Reiten eigneten als Turnschuhe, führte Stella eine Fuchsstute namens Angelina in den Hof. Das netteste Pferd im Stall, wie Marlene betonte, »so brav, dass sie schon dämlich ist«. Eine beruhigende Aussage für Stella, deren Kindheitserfahrungen mit bockigen Mistviechern nicht gerade zu ihren angenehmsten Erinnerungen gehörten. Angelinas sanfte braune Kulleraugen glänzten harmlos unter ihren langen Wimpern. Stella streichelte liebevoll die Blesse mit den ungefähren Umrissen Italiens und schob der Stute die Trense ins Maul. Sie ließ es sich ohne Gegenwehr gefallen. Auch den Sattel, den Marlene ihr auf den Rücken hievte, ertrug sie ohne sichtbaren Widerwillen. Alles gute Zeichen.
Vom Hof aus konnte Stella Casa Pornello auf dem nächsten Hügel erkennen, links daneben lag Katharinas Haus versteckt in der Senke. Der Stall gehörte zu dem Agriturismo Colle del Sole . Marlene und Andreas, die beiden Reiter des Clans, liehen sich dort regelmäßig Pferde, wenn sie in der Casa Pornello Ferien machten.
Ans Aufsteigen erinnerte Stella sich so selbstverständlich wie an Schwimmübungen. Zügel in die Hand, links ans Pferd, linken Fuß in den Bügel, am Sattel festhalten und schwupp. Allerdings mussten inzwischen ein paar Kilo mehr nach oben gehievt werden, der Schwupp misslang gleich mehrere Male hintereinander. Bis Marlene es nicht mehr mit ansehen konnte, wieder abstieg und aus der Futterkammer eine Kiste mit der Aufschrift »Modigliani« in den Hof schob. »Die Futterkiste von Valeries Pferd«, erklärte sie.
Stella wusste zwar, dass Valerie gern und gut ritt, auch dasssie ein Pferd besaß, aber dass es in Umbrien stand, hörte sie zum ersten Mal.
»Eine adelige Dame muss sich doch standesgemäß sportlich betätigen«, sagte Marlene. »Sie kam ja schon im Mai und wollte bis Oktober bleiben. Da hat sie einfach ihr Pferd mitgebracht. Immer nur joggen war ihr zu langweilig. Und Jochen bezahlte ja alles.«
»Würde ich mir gerne angucken, diesen Modigliani.«
»Wenn wir zurück sind.«
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