Es sterben immer drei
Stella fiel wieder Lucas Aktenordner mit dem Foto der Kolonialmänner und ihrer Gewehre ein. Die Vermutungen gingen also in die richtige Richtung. Zumindest interessierte sich Jochen für die hochherrschaftlichen Tötungsapparaturen, was ihn zwar noch nicht zu einem Mörder machte, aber immerhin.
Der Gewehrschrank war leider vorschriftsmäßig abgeschlossen. Stella hätte zu gern überprüft, ob er zu seinen H&H-Jagdklamotten wirklich kein H&H-Gewehr besaß, wie Luca behauptet hatte. Die Polizei war schließlich auch nicht unfehlbar in ihren Auskünften. Dann würde sich vielleicht auch ein Zusammenhang zu dem H&H-Futteral herstellen lassen, das Derrida herumschleppte. Trotz der falschen Initialen.
Leider versteckte Jochen den Schlüssel besser als ihr Vater und deponierte ihn nicht einfach auf dem Schrank. Auf der Suche tastete sie auch die Geweihe an den Wänden ab. Es waren nicht die bescheidenen mitteleuropäischen Rotwildgestänge, die ihr Vater als Beleg seiner hegenden Kompetenzen aufgehängt hatte. Nein, Jochen, der stets beweisen musste, dass er es in allem, was er anpackte, zur Spitzenklasse brachte, demonstrierte auch mit seiner selbst erlegten Trophäensammlung seine Weltgewandtheit, sein Vermögen und sein Können. Stella konnte zweifelsfrei nur den Zwölfender eines Hirsches identifizieren, weil sie solch ein Geweih als Kind auf einem Wandteller im Wohnzimmer der Jagdfreunde schon mal gesehen hatte. Ein röhrender Hirsch auf einer Lichtung, mit einem kleinen herzförmigen weißen Fleck auf der Brust, dort wo der Schütze hinzielen musste, wenn er mit einem Treffer ins zentrale Nervensystem das Tier zur Strecke bringen wollte. Blattschuss hieß das, erinnerte sie sich. Ein anderes Geweih gehörte wahrscheinlich zu Jochens skandinavischer Jagdbeute, weil es dem des Plüsch-Elches ähnelte, den sie nach einem wortkargen Interview mit dem finnischen Regisseur Aki Kaurismäki in Helsinki erstanden hatte.
Da Jochen angeblich nie in Afrika gewesen war, konnten die gedrehten Hörner, die gleich neben dem Elch zweimal an der Wand hingen, nicht von dort stammen. Mächtige, sandfarbene Gewinde, die stolzen Tieren gehört hatten und der Begehrlichkeit eines deutschen Machtmenschen zum Opfer gefallen waren. Fast schockiert strich Stella über die geriffelten Hornspiralen, die sich wie feines Diamantschleifpapier anfühlten. Sie konnte sich das Sammeln von Jagdtrophäen nur als archaischen Reflex erklären, als Resterregung eines jahrtausendealten Kampfes der männlichen Menschheit gegen die Natur. Was nicht erklärte, warum ein Zeitgenosse wie Jochen, der sich garantiert als hochzivilisiert einstufte, an einem Steinzeitspaß Gefallen fand. Er brauchte mit seinem Schießgewehr nicht mehr seine Familie zu ernähren, er konnte ganz gemütlich mittels Hochtechnologieseinen längst unterlegenen Feind ins Jenseits befördern. Ohne jeden Hunger. Und war auch noch stolz darauf. Sie tätschelte sanft das imposante Geweih auf der Holzplatte. Auf dem kleinen Messingschild darunter war »Altai 2007« eingraviert. Ein Gebirge, davon hatte sie schon einmal gehört, irgendwo im Süden Sibiriens. Ganz weit weg. Bei ihrem nächsten Ausflug in ein Internetcafé würde sie es googeln müssen. Sie wollte wissen, wo Jochen sich schießenderweise überall herumtrieb. Große Tiere gab es schließlich nicht nur in Afrika.
»Interessant, nicht wahr?«
Stella fiel vor Schreck fast in Ohnmacht. Der Seidenteppich mit der geknüpften Szene eines Gemetzels mit Pfeil und Bogen an einem Rudel Wildschweinen rutschte unter ihr weg, weil sie sich zu schnell herumdrehte. Beinahe hätte sie sich auf den Hintern gesetzt. Marlene lehnte lässig im Türrahmen. Wie lange sie da wohl schon gestanden hatte? Jedenfalls lange genug, um einen amüsierten Gesichtsausdruck anzunehmen. »Der Topmanager mit international angemessenem Gehalt hat es sich hier gemütlich gemacht.« Sie deutete mit einer einladenden Handbewegung in den Raum, als sei sie die Gastgeberin. Eine Lieblingsgeste von ihr. »Alles seins.«
»Sehr geschmackvoll.«
»Natürlich hat der alte Angeber selbst nicht genug Stil, um sich so einzurichten. Für sein Zimmer hat er einen niederländischen Stararchitekten so lange beschwatzt, bis der ihm den Umbau managte. Vielleicht hat er ihn auch bestochen oder erpresst oder beides. Jedenfalls kann er jetzt mit einem großen Namen angeben und hat nebenbei Karl eins ausgewischt.«
»Das Jagdzimmer hier etwa auch?« Stella hatte zwar auch schon von
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