Es sterben immer drei
geworden. Deswegen der Wechsel in die Kunstbranche. Sehr wahrscheinlich hatte Jochens Auftauchen sie dann endgültig von der lästigen Pflicht befreit, sich oder ihrem Vater beruflich etwas beweisen zu müssen. Es ging auch bequemer. Konnte gut sein, dass der Ehrgeiz zu zeigen, was wirklich in ihr drinsteckte, in den letzten Jahren nur geschlummert hatte und sie sich, als das Leben mit Jochen sie langweilte, wieder darauf besann. Vielleicht hatte sie die Chance gesehen, mit der Aufdeckung des Ölpanschskandals endlich das große Ding zu landen. Mutig genug dazu war sie. Aber hatte sie auch bedacht, dass sie dabei ihr Leben riskierte? Oder war sie so naiv zu denken, die Mafia würde sich ungerührt von ihr ans Bein pinkeln lassen?
Allerdings gab es da noch dieses Foto in Katharinas Papierkorb. Eine Frau, zwei Männer, drei Gewehre. Mit Mafia hatte das überhaupt nichts zu tun. Eine Frau ist die einzige Beute, die sich ihren Jäger selber aussucht, diesen Satz hatte Valerie ihr einmal über den Schreibtisch hinweg aus einem Buch vorgelesen. Welchen Jäger hatte Valerie sich ausgesucht? Und wem war sie dabei vor die Flinte gelaufen?
7
Die Schüsse schreckten Stella kurz vor fünf aus dem Schlaf. Es war noch dunkel, nur eine Andeutung des Tages leuchtete zaghaft am Horizont. Sie legte das Handy mit der Uhr zurück auf den Stuhl, den Nachttischersatz neben dem Bett, und kuschelte sich wieder in die Kissen. Wozu aufstehen? Aber die Augen zu schließen nutzte nichts. Der Schlaf hatte sich beleidigtverzogen, das Gehirn lief sich warm. Unruhig drehte sie sich im Bett von einer Seite auf die andere und wieder zurück. Die Jagdsaison begann zwar erst in drei Tagen, was die Jäger jedoch nicht daran hinderte, schon mal übungshalber herumzuballern. Jagdfieber war mehr als nur ein Wort, wie sie wusste, seit sie vor Jahren einen Freund ihres Vaters zerknirscht auf der Wohnzimmercouch hatte sitzen sehen, völlig fassungslos über sich selbst, weil er nicht den kranken Rehbock abgeschossen hatte, der ihm als Beute zugeteilt worden war, sondern im Morgengrauen auf seinem Hochsitz der Versuchung nicht hatte widerstehen können, den schönsten Bock im Revier abzuknallen. Einfach weil er so würdevoll und stolz in das Fadenkreuz seines Zielfernrohrs geschritten war. Als er die Gefühle zu erklären versuchte, die ihn am Abzug seiner Flinte überwältigt hatten, fing er an zu weinen. Damals hörte Stella das Wort zum ersten Mal. »Blutrausch«, stammelte er schluchzend. »Ich war im Blutrausch.« Als sei das eine Erklärung. Oder eine Entschuldigung. Er war der beste Freund ihres Vaters gewesen, ein alter Mann, der nur mühsam die Hochsitze hinaufklettern konnte, seit er mit einem Holzbein aus dem Krieg in Russland zurückgekommen war. Er half immer, wenn es darum ging, im Winter Futter an den Wildkrippen zu verteilen, mit Behörden zu verhandeln oder wenn die Jagdpacht fällig war und ihr Vater wieder über seine Verhältnisse gelebt hatte. Vielleicht war er überzeugt gewesen, seine Killerinstinkte ein für alle Mal im Griff zu haben. Und nun hatte er das prachtvollste Tier auf dem Gewissen, das mit dem größten Geweih. Stella erinnerte sich, dass Irma den sperrigen Knochen tagelang auskochte, weil er so stank, in einem Kessel auf offenem Feuer hinter dem Haus. Sie dachte wohl, diese beeindruckende Jagdtrophäe müsste auf einem Brett an die Wand genagelt werden wie die anderen Geweihe. Aber Stellas Vater war zu enttäuscht. Der Achtender eignete sich nicht für eine Anekdote, für Jägerlatein in launischer Runde. Sein Freund, der alte Mann, nahm die Trophäe ebenfalls nicht an, er wollte keine Erinnerungan sein Versagen. Seine Schmach. Warum überhaupt eine Jagdtrophäe, dachte Stella, wenn Jäger heutzutage selektiv schossen, angeblich nur das kaputte Genmaterial aussortierten. Hängten sie sich inzwischen voller Stolz schwächliche, verbogene, unvollständige Trophäen an die Wand? Oder war das, was sie Hegen und Pflegen nannten, nur eine Lüge, die den Genuss des Tötens tarnte? Und was bitte sollte ein Blutrausch sein? Hörte ein Jäger dabei ein Geräusch in den Ohren, ähnlich wie beim Tinnitus?
Sie stand auf und zog Jogginghose und Schuhe an. Wenn sie schon nicht schlafen konnte, würde ein Morgenspaziergang ihr guttun. Die Hügel lagen noch im Dunst, aber die Sonnenstrahlen krochen schon kräftig über den Horizont. Vor der Haustür wartete Derrida, als könnte er bei dem Lärm auch nicht schlafen. Aber er machte keine
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