Es sterben immer drei
baumelte. Darüber trug er eine orangefarbene Jacke ohne Ärmel, die Warnblinkanlage der Jäger, damit sie sich im Wald nicht gegenseitig umnieteten. Sie sah außerdem seine Wanderstiefel, an denen Erde und Laub klebte, und das Gewehr, das er an einem Riemen über der Schulter trug. Sie registrierte auch die teure Uhr an seinem Handgelenk, sogar das Zifferblatt, auf dem in einem winzigen kleinen Käfig die Unruh langsamer pulsierte als ihr Herz, und sie bemerkte mit einer gewissen Genugtuung den besorgten Ausdruck auf dem Gesicht des Mannes. Sie erkannte ihn sofort. Jochen Wilke, das arrogante Arschloch.
»Du hast mich angeschossen, du Idiot«, sagte sie.
Er hatte keine Ahnung, dass er sie schon mal gesehen hatte, das wurde ihr sofort klar, als er sich besorgt über ihre Wunde beugte. Nicht, dass sie sich in letzter Zeit groß verändert hätte, sie war einfach nur älter geworden, aber er hatte es nie für nötig gehalten, sich ihr Gesicht zu merken, weder als seine Angestellte,deren Planstelle er beim ersten Anzeichen eines Gegenwindes auf seinem Erfolgskurs einsparte, noch als Freundin seiner Lebensgefährtin. Ein Mann wie er entfesselte in Stella alle Abwehrkräfte. Arrogant, vermögend, sehr von sich überzeugt, sehr einflussreich. Aber jetzt war ihre Zeit der Rache gekommen. Nun musste er sich wohl oder übel mit ihr befassen. Trotz ihres Schocks registrierte sie die Schadenfreude, die sich in ihr ausbreitete wie ein warmer wohliger Sonnenstrahl. Dir zeige ich es, du Depp, dachte sie.
»Ist ja nichts passiert«, murmelte Jochen über ihrem Arm und das machte sie schon wieder wütend.
»Was heißt hier nichts passiert. Sie hätten mich töten können!« Auch das Duzen änderte sie wieder. Kerle wie diesen musste man auf Distanz halten, damit sie Respekt bekamen.
»Hab ich aber nicht.« Seine Besorgnis hielt nicht lange an. »Was laufen Sie aber auch hier in der Früh mitten durch den Wald. Das ist extrem leichtsinnig.«
Offensichtlich konnte er sich gerade noch zusammenreißen, um nicht »selber schuld« hinterher zu schleudern.
»Idiot!« Dieses selbstgefällige Arschloch musste aus der Ruhe gebracht werden. Sie bedachte ihn mit einem hassgeladenen Ausbruch, in dem die Worte Knallkopf, Mistkerl, hirnamputierter Volltrottel, Schwachkopf, Blödmann breiten Raum einnahmen. Aber je lauter sie wurde, desto ruhiger wurde er. »Sie haben einen Schock«, stellte er gelassen fest und zog ihr die Jacke aus. Da sie darunter nur ein ärmelloses Schlafanzugoberteil trug, holte er aus einem Rucksack im Tarnfarbendesign ein Pflaster und klebte es ihr auf die blutende Stelle. Dann zog er sie am gesunden Arm auf die Beine, fragte ungerührt mitten in ihre Schimpfkanonade, ob sie laufen könne, und beschloss ohne ihre Zustimmung, dass er sie jetzt zu seinem Haus bringen werde, weil dort gerade ein Arzt zu Besuch sei, der könne sich das Ganze angucken und fachgerecht verbinden. Ein Aufenthalt bei einem italienischen Arzt oder gar im Krankenhaus sei völligunnötig. Sie stolperte hinter ihm her zu seinem Auto. So weit, sie zu stützen, ging seine Fürsorge nicht, aber immerhin drehte er sich einmal um und fragte, ob alles okay sei. Ansonsten sparte er sich das Reden. Als sie in seinem dicken SUV saß, einem Porsche, was sonst, mit Münchner Kennzeichen, fühlte sie sich schon besser, auch wenn der Arm jetzt verteufelt wehtat. Er hatte sie nicht einmal gefragt, wo sie wohnte, noch hatte er sich gewundert, dass sie Deutsche war, er nahm einfach kaltblütig alles so, wie es kam, als sei es nicht weiter bemerkenswert. Aber genau das ärgerte sie. Konnte er nicht etwas mehr Betroffenheit zeigen oder wenigstens Mitleid?
Nach zehn Minuten flotter Fahrt bog er ab auf eine Zypressenallee, die in sanftem Schwung auf eine Bergkuppe mit zwei stattlichen, schmucklosen Häusern führte. Mit schießschartenartigen Fenstern signalisierten sie aus der Ferne trotzige Abwehrbereitschaft, aber je näher sie kamen, desto mehr offenbarten das solide Mauerwerk und die üppig blühenden Oleander- und Rosenbüsche einen gepflegten Charakter. Jochen passierte, ohne das Tempo zu drosseln, einen hohen Torbogen mit einer Reihe Fenster darüber, der beide Häuser miteinander verband, und fuhr mit Karacho in einen mit Kies belegten Innenhof. An der Stirnseite schloss sich ein Garten mit Rasenflächen, Hibiskusbüschen und Pinien an, dahinter erstreckten sich die umbrischen Hügel bis zum Horizont. Zu Ehren dieser grandiosen Szenerie öffneten sich
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