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Es stirbt in mir

Es stirbt in mir

Titel: Es stirbt in mir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Silverberg
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blauen Monturen ihren Sadismus austobte. Mit bärtigen SDS-Gauleitern über Taktik stritt, um mir schließlich ins Gesicht spucken und mich einen Scheiß-Liberalen schimpfen zu lassen. Zusah, wie sich wohlerzogene Barnard-Girls die Blusen aufrissen und den geilen, verzweifelten Cops ihren Busen entgegenschwenkten, während sie ihnen gleichzeitig Verbalinjurieren zuschrien, von denen die Barnard-Girls meiner längst entschwundenen Zeit bestimmt niemals etwas gehört hatten. Zusah, wie ein paar junge, zottelige Columbia-Studenten ritualistisch auf einen Stoß Forschungsunterlagen pißten, die sie dem Aktenschrank irgendeines unglückseligen Assistenten entrissen hatten, der sie für seine Doktorarbeit brauchte. Damals erkannte ich, daß es für die Menschheit keine Hoffnung gab – nicht, wenn sogar die Besten von uns im Kampf für Nächstenliebe, Frieden und Gleichberechtigung zu wahren Berserkern wurden. In jenen finsteren Nächten damals schlich ich mich in die Gedanken vieler Mitmenschen ein, fand überall Hysterie und Wahnsinn und mußte einmal voller Verzweiflung erkennen, daß ich in einer Welt lebte, in der zwei verschiedene Fraktionen von Wahnsinnigen um die Herrschaft über die Irrenanstalt kämpften. Da ging ich nach einem besonders blutigen Krawall in den Riverside Park, um mir die Seele aus dem Leib zu kotzen, und wurde dabei von einem katzenflinken, vierzehnjährigen Schwarzen überfallen, der mich grinsend um 22 Dollar erleichterte.
    Ich wohnte damals, 1968, in der Nähe der Columbia University, in einem heruntergekommenen Hotel in der 114th Street, in dem ich über ein mittelgroßes Zimmer samt Küchen- und Badbenutzung inklusive Kakerlaken verfügte. Es war dasselbe Hotel, in dem ich während meiner Collegejahre 1955-56 gewohnt hatte. Das Haus war schon zu jener Zeit ziemlich schäbig gewesen, als ich jedoch nach zwölf Jahren wiederkam, war es ein fürchterliches Loch, dessen Hof mit Injektionsspritzen übersät war wie andere Höfe mit Zigarettenstummeln. Aber vielleicht war ich ein Masochist, jedenfalls wollte ich nie auch nur den kleinsten Teil meiner Vergangenheit aufgeben, ganz gleich, wie häßlich er auch sein mochte, und als ich damals ein Zimmer suchte, wählte ich eben dieses. Außerdem war es billig – 14,50 Dollar pro Woche –, und wegen meiner Arbeit, der Recherchen für das Israel-Buch, mußte ich in der Nähe der Universität wohnen. Können Sie mir immer noch folgen? Ich berichte Ihnen von meinem ersten Acid-Trip, der ja eigentlich Tonis Trip war.
    Wir beiden teilten dieses schäbige Zimmer nahezu sieben Wochen lang: eine kurze Zeit im Mai, den ganzen Juni, einen Teil des Juli –, sozusagen durch dick und dünn, Hitzewellen und Gewitter, Auseinandersetzungen und Versöhnungen, und es war eine glückliche Zeit, wahrscheinlich die glücklichste in meinem ganzen Leben. Ich liebte sie und sie, glaube ich, liebte mich auch. Viel Liebe habe ich in meinem Leben nicht gehabt. Damit will ich jetzt nicht an Ihr Mitleid appellieren, es ist lediglich eine objektive, unemotionelle Feststellung. Es liegt ganz einfach in der Natur meiner Begabung, daß sie meine Fähigkeit zu lieben und geliebt zu werden herabsetzt. Ein Mensch mit meiner Gabe, der allen innersten Gedanken anderer Menschen weit geöffnet ist, wird sich niemals sehr der Liebe erfreuen können. Und Liebe geben kann er auch kaum, weil er seinen Mitmenschen kein Vertrauen schenken kann, denn er weiß zuviel über ihre kleinen, schmutzigen Geheimnisse, und das tötet seine Gefühle für sie. Da er nicht geben kann, wird ihm auch nicht gegeben. Seine Seele, verhärtet durch Isolierung und Nicht-Geben-Können, wird zu einer uneinnehmbaren Festung, und so ist es unendlich schwer für andere, ihn zu lieben. Die Schlinge zieht sich zu, und er ist in ihr gefangen. Trotzdem liebte ich Toni, achtete streng darauf, niemals zu tiefen Einblick in ihre Gedanken zu nehmen, und zweifelte nicht daran, daß meine Liebe von ihr erwidert wurde. Was ist überhaupt das Kriterium für Liebe? Wir waren lieber allein als mit anderen zusammen. Wir erregten uns gegenseitig auf alle nur erdenkliche Art und Weise. Wir langweilten uns nie miteinander. Unsere Körper spiegelten die enge Verwandtschaft unserer Seelen wider. Nie versagte bei mir die Erektion, nie versagte bei ihr die Sekretion, unsere Vereinigung trug uns jedesmal beide der Ekstase entgegen. Diese Dinge nenne ich die Parameter der Liebe.
    Am Freitag unserer siebten Woche brachte Toni aus ihrem Büro

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