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Es stirbt in mir

Es stirbt in mir

Titel: Es stirbt in mir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Silverberg
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Ehepaare, die eifrig bestrebt sind, den Zustand des Gleichgewichts zu erreichen. Sie kapseln sich ab, klammern sich aneinander, schließen das Universum aus und verwandeln sich so in ein geschlossenes Zweipersonensystem, aus dem durch das tödliche Gleichgewicht, das sie hergestellt haben, nach und nach unwiderruflich alle Lebenskraft vertrieben wird. Wenn sie von allem absolut isoliert sind, können zwei genauso untergehen wie einer. Ich nenne das den monogamen Trugschluß. Meine Schwester Judith sagt, sie habe ihren Mann verlassen, weil sie das Gefühl hatte, im Zusammenleben mit ihm jeden Tag ein bißchen zu sterben. Nun ist Judith natürlich ein Flittchen.
    Allerdings ist dieser sensorische Ausfall nicht immer ein bewußt herbeigeführtes Phänomen. Er tritt auf, ob es uns paßt oder nicht. Wenn wir nicht freiwillig in die Kiste steigen, wird man uns schon hineinstoßen. Das meine ich, wenn ich behaupte, daß uns die Entropie letzten Endes alle zur Strecke bringt. Ganz gleich, wie lebendig, wie kraftvoll, wie weltgierig wir sind – mit der Zeit schwinden die Inputs. Sehen, Hören, Fühlen, Riechen – nach und nach geht alles dahin, wie der gute, alte Will S. sagte, und wir enden, Zähne , sans Augen, sans Geschmackssinn, sans allem. Oder, wie ebenjener kluge Mann es ausdrückte, wir reifen und reifen von Stunde zu Stunde, und dann faulen und faulen wir von Stunde zu Stunde.
    Ich selbst bin das beste Beispiel dafür. Was beweist dieses Mannes trauriges Schicksal? Ein unerklärliches Schwinden seiner einstmals bemerkenswerten Gabe. Ein Schrumpfen der Inputs. Einen kleinen Tod, den er stirbt, während er noch lebt. Bin ich kein Opfer des Kampfes gegen die Entropie? Wer werde ich sein, wenn ich aufhöre, ich selbst zu sein? Ich sterbe den Flammentod. Ein spontaner Zerfall. Eine Zufallszuckung der Wahrscheinlichkeit ist mein Ende. Und ich gehe auf in nichts.
    Ich werde zu Schlacke und Asche. Hier werde ich warten, bis mich der große Besen aufkehrt.
    Sehr überzeugend, Selig. Glatte Eins. Ihr Stil ist klar, einleuchtend und beweist ein ausgezeichnetes Verständnis für die angesprochenen philosophischen Probleme. Sie werden Klassenbester. Fühlen Sie sich jetzt wohler?
24
    Es war eine Wahnsinnsidee, Kitty, eine ganz verrückte fantastische Idee. Es konnte nicht funktionieren. Ich habe etwas Unmögliches von dir verlangt. Das Ergebnis war vorauszusehen: daß du dich über mich ärgern, daß du dich langweilen und mich verlassen würdest. Schuld daran ist eigentlich Tom Nyquist. Schließlich war es seine Idee. Nein, schuld daran bin eigentlich ich. Ich hätte ja nicht auf ihn zu hören brauchen, nicht wahr? Schuld daran bin einzig ich. Einzig ich.
    Axiom: Es ist eine Sünde wider die Liebe, wenn man versucht, die Seele eines Menschen, den man liebt, umzuformen, selbst wenn man glaubt, den anderen, nachdem man ihn umgeformt hat, noch mehr lieben zu können.
    Nyquist sagte: »Vielleicht kann sie auch Gedanken lesen, und die Blockierung beruht auf einer Interferenz, dem Aufeinandertreffen deiner und ihrer Übertragungen, so daß die Wellen in einer oder in beiden Richtungen aufgehoben werden. Dann gibt es keine Übertragung zu dir, und umgekehrt wahrscheinlich ebensowenig.«
    »Das möchte ich doch sehr bezweifeln«, antwortete ich. Das war im August 1963, zwei bis drei Wochen, nachdem wir uns kennengelernt hatten. Noch lebten wir beide nicht zusammen, aber geschlafen hatten wir schon ein paarmal miteinander. »Sie hat nicht einen Funken telepathischer Begabung«, behauptete ich. »Sie ist vollkommen normal. Das ist ja das Wesentliche an ihr, Tom: Sie ist einfach normal!«
    »Sei lieber nicht so sicher«, warnte Nyquist.
    Zu jener Zeit kannte er dich noch nicht. Er wollte dich zwar kennenlernen, aber bisher hatte ich das noch nicht arrangiert. Nicht mal seinen Namen hattest du gehört.
    »Wenn ich etwas über sie weiß«, antwortete ich, »dann eins: daß sie ein geistig und körperlich gesundes, absolut normales Mädchen ist. Aus diesem Grund kann sie keine Gedankenleserin sein.«
    »Weil nämlich Gedankenleser geistig und körperlich nicht gesund und außerdem unausgeglichen sind, nicht wahr? Wie du und ich. Quod erat demonstrandum, eh? Verallgemeinere bitte nicht!«
    »Die Gabe belastet den Geist«, sagte ich. »Sie verdunkelt die Seele.«
    »Bei dir vielleicht. Bei mir nicht.«
    Das stimmte. Die Telepathie hatte ihm nicht geschadet. Vielleicht hätte ich unter den Problemen, die ich habe, ebensosehr gelitten, wenn

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