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Es stirbt in mir

Es stirbt in mir

Titel: Es stirbt in mir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Silverberg
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meinen Armen, während ich angestrengt in dich hineindachte, und du angestrengt in mich hineindachtest. Wir versuchten es, wenn wir betrunken waren. Wir versuchten es beim Fasten. Wir versuchten es mit Selbstkasteiung, indem wir uns zwangen, vierundzwanzig Stunden lang wach zu bleiben, weil wir glaubten, daß ein vor Müdigkeit betäubter Geist mentale Impulse durchlassen würde. Wir hätten es auch unter dem Einfluß von Pot oder Acid versucht, doch damals, 1963, dachte praktisch noch niemand an Pot oder Acid. Wir versuchten die telepathische Leitung noch mit den verschiedensten anderen Methoden freizulegen. Du erinnerst dich möglicherweise noch an die Details; mir verbietet die Scham die Erinnerung daran. Ich weiß nur, daß wir uns einen Monat lang Nacht für Nacht mit diesen erfolglosen Versuchen herumschlugen, während dein Interesse wuchs, einen Höhepunkt erreichte, wieder abnahm und dich durch eine Reihe von Phasen trug, die von Skepsis bis zu kühlem, objektiven Interesse reichten, anschließend zu unverkennbarer Faszination und Begeisterung wuchsen, dann jedoch wieder zu der Erkenntnis unentrinnbaren Versagens, der Unerreichbarkeit unseres Ziels absanken und in Müdigkeit, Langeweile und Gereiztheit endeten. Ich merkte von all dem nichts: Ich war der Meinung, du hättest dich unseren Versuchen ebenso verschrieben wie ich.
    Anfang November gab Nyquist eine seiner seltenen Dinnerpartys, die von einem Restaurant in Chinatown ausgerichtet wurde.
    Seine Partys waren immer glanzvolle Ereignisse; die Einladung abzulehnen, wäre absurd gewesen. Also mußte ich dich ihm schließlich doch präsentieren. Über drei Monate hatte ich dich mehr oder weniger absichtlich von ihm ferngehalten, aus einer Feigheit heraus, die ich selbst nicht ganz begriff, den Augenblick der Gegenüberstellung hinausgezögert.
    Wir kamen spät: Du brauchtest lange, bis du fertig warst. Die Party war schon lange voll im Gang, fünfzehn oder achtzehn Gäste, darunter viele Berühmtheiten, wenn auch nicht gerade für dich, denn was wußtest du schon von Dichtern, Komponisten, Romanciers? Ich machte dich mit Nyquist bekannt. Er lächelte, murmelte ein aalglattes Kompliment und gab dir einen nichtssagenden, unpersönlichen Kuß. Du wirktest schüchtern, als hättest du Angst vor ihm und seiner selbstsicheren Gewandtheit. Nach ein paar höflich-unverbindlichen Floskeln lief er davon, um neue Gäste einzulassen. Etwas später, als wir unsere ersten Drinks in der Hand hatten, hielt ich einen Gedanken für ihn bereit:
    - Na, wie findest du sie?
    Er aber war zu intensiv mit den anderen Gästen beschäftigt, um sich um meine Gedanken zu kümmern, und bemerkte meine Frage nicht. Ich mußte meine Antwort in seinen Gedanken suchen. Ich sondierte er merkte, was ich tat, und warf mir quer durch das Zimmer einen Blick zu – und suchte nach Informationen. Dicke Schichten trivialer Gastgebersorgen überlagerten seine Oberflächengedanken; gleichzeitig offerierte er Drinks, lenkte ein Gespräch, gab das Zeichen, daß die Frühlingsrollen serviert werden sollten, und ging die Gästeliste durch, um zu sehen, wer noch zu erwarten war. Ich aber konnte das alles mühelos durchdringen und fand sogleich das Zentrum seiner Kitty-Gedanken. Dort erfuhr ich, was ich befürchtet hatte. Er konnte in deinen Geist mühelos eindringen. Ja. Für ihn warst du ebenso durchsichtig wie jeder andre Mensch. Nur für mich warst du undurchsichtig – aus Gründen, die keiner von uns kannte. Nyquist hatte dich sofort abgetastet, dich eingeschätzt, sich ein Urteil über dich gebildet, das ich nunmehr bei ihm abrufen konnte: Er fand dich linkisch, unreif, naiv, aber auch attraktiv und sehr charmant. (So sah er dich wirklich. Ich versuche keineswegs, es so darzustellen, als hätte er dich schärfer kritisiert, als er es wirklich tat. Du warst damals sehr jung, du warst sehr unerfahren, und das hat er genau erkannt.) Diese Entdeckung betäubte mich. Eifersucht ließ mein Blut erstarren. So viele Wochen lang hatte ich mir so große Mühe gegeben, zu dir durchzudringen, und hatte trotzdem nichts erreicht; und nun gelang es ihm ohne Anstrengung, in deine tiefsten Tiefen vorzustoßen! Sofort wurde ich mißtrauisch. Nyquist und seine böswilligen Spielchen: War dies auch wieder eines davon? Konnte er tatsächlich in deinen Gedanken lesen? Woher sollte ich wissen, ob er mir nicht eine Fiktion vorsetzte? Diesen Verdacht spürte er:
    - Du mißtraust mir? Selbstverständlich lese ich ihre

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