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Es stirbt in mir

Es stirbt in mir

Titel: Es stirbt in mir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Silverberg
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erkennen, wie schlecht sie stehen.
    Der große amerikanische Physiker Josiah Willard Gibbs (1838-1903) war der erste, der das zweite Gesetz der Thermodynamik – jenes Gesetz, das die zunehmende Unordnung der innerhalb eines geschlossenen Systems ziellos sich bewegenden Energie definiert – auch auf die Chemie anwandte. Es war Gibbs, der das Prinzip verkündete, daß mit dem zunehmenden Alter des Universums auch die Unordnung spontan zunehme. Unter denen, die Gibb’s Erkenntnisse auf den Bereich der Philosophie ausdehnten, war auch der brillante Mathematiker Norbert Wiener (1894-1964), der in seinem Buch The Human Use of Human Beings erklärte: »Wenn die Entropie zunimmt, besteht im Universum wie in allen geschlossenen Systemen des Universums naturgemäß das Bestreben, in Verfall zu geraten und ihre charakteristische Eigenheit zu verlieren, vom weniger wahrscheinlichen Zustand in den wahrscheinlicheren überzugehen, vom Zustand der Ordnung und Differenziertheit, in dem es Unterschiede und Formen gibt, in einen Zustand des Chaos und der Gleichförmigkeit. In Gibb’s Universum ist die Ordnung der am wenigsten wahrscheinliche, das Chaos der wahrscheinlichste Zustand. Während jedoch das Universum als Gesamtheit – falls es überhaupt ein gesamtes Universum gibt – das Bestreben zeigt, zu verkommen, gibt es örtlich begrenzte Enklaven, die in eine Richtung tendieren, welche derjenigen des Universums im allgemeinen entgegengesetzt zu sein scheint und in der eine beschränkte, vorübergehende Tendenz zur Steigerung der Ordnung herrscht. In einigen dieser Enklaven findet das Leben seine Heimstatt.«
    So pries Wiener die Lebewesen im allgemeinen und die menschlichen Wesen im besonderen als Helden im Kampf gegen die Entropie, den er an anderer Stelle dem Kampf gegen das Böse gleichsetzt: »Dieses Zufallselement, diese organische Unvollkommenheit (das heißt, das fundamentale Element des Zufalls in der Struktur des Universums) ist es, welches wir ohne allzu große Übertreibung als das Böse bezeichnen können.« Menschliche Wesen, sagt Wiener, führen antientropische Prozesse fort. Wir haben Sinnesrezeptoren. Wir kommunizieren miteinander. Deswegen sind wir mehr als nur passive Opfer der spontanen Verbreitung des universalen Chaos. »Wir, die menschlichen Wesen, sind keine geschlossenen Systeme. Wir nehmen Nahrung auf, die uns von außen Energie zuführt, und sind infolgedessen Teil jener größeren Welt, die diese Quellen unserer Lebenskraft enthält. Noch wichtiger aber ist die Tatsache, daß wir mit Hilfe unserer Sinnesorgane Informationen aufnehmen und auf die empfangenen Informationen reagieren.« Mit anderen Worten, es existiert Feedback. Durch Kommunikation lernen wir unsere Umgebung zu beherrschen, und weiter sagt er: »Mit dieser Kontrolle und Kommunikation bekämpfen wir ständig das Bestreben der Natur, die Ordnung zu stören und das Sinnvolle zu vernichten; das Bestreben… der Entropie, sich zu steigern.« Auf lange Sicht muß die Entropie uns alle zur Strecke bringen; auf kurze Sicht können wir uns dagegen wehren. »Noch sind wir nicht Beobachter der letzten Phase des Sterbens dieser Welt.«
    Was aber, wenn ein menschliches Wesen, willkürlich oder unwillkürlich, selber zu einem geschlossenen System wird?
    Etwa ein Einsiedler. Er lebt in einer dunklen Höhle. Keine Informationen erreichen ihn. Er ernährt sich von Pilzen. Sie geben ihm gerade genug Energie, um weiterzuleben, davon abgesehen leidet er an Input-Mangel. Er ist gezwungen, auf seine eigenen geistigen und seelischen Kräfte zurückzugreifen, die sich schließlich und endlich erschöpfen. Nach und nach breitet sich das Chaos in ihm aus, nach und nach ergreifen die Kräfte der Entropie Besitz von diesem Ganglion, von jener Synapse. Die Menge der sensorischen Daten, die er aufnimmt, wird immer geringer, bis er vor der Entropie kapituliert. Er hört auf, sich zu bewegen, zu wachsen, zu atmen, zu funktionieren. Diesen Zustand nennen wir Tod.
    Aber man braucht sich nicht in einer Höhle zu vergraben. Man kann auch in eine innere Emigration flüchten, sich vor den lebenspendenden Energiequellen verschließen. Das geschieht häufig deswegen, weil die Energiequellen die Stabilität des Ich zu gefährden scheinen. Und tatsächlich sind Inputs eine Gefahr für das Ich: Durch einen Stoß wird für gewöhnlich das Gleichgewicht gestört. Nun bildet jedoch auch das Gleichgewicht eine Gefahr für das Ich, obwohl dies häufig übersehen wird. Es gibt

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