Es war einmal ein Mord: Ein Hänsel und Gretel-Krimi (German Edition)
Auftraggeberin huschte ohne ein Wort der Klage oder des Widerspruchs davon – so schnell, dass Gretel sich wünschte, sie hätte mehr verlangt – und kehrte mit einem dicken Bündel Geldscheine zurück.
Auf dem Weg nach Hause stellte Gretel fest, dass ihre Reisemüdigkeit durch das tröstliche Geldpolster, das nun mollig warm in ihrem Korsett ruhte, bedeutend gemildert wurde. Sie freute sich schon auf die kleinen Freuden ihres Zuhauses – Hänsels Kochkünste, ihr Sofa, einen Enzian oder zwei …
Die Abenddämmerung senkte sich reizvoll über Gesternstadt, und in ihrer derzeitigen Stimmung fand sogar Gretel den Anblick gefällig. Als sie die Kirschbaumallee hinter sich ließ, grollte ihr Magen bereits in froher Erwartung von Hänsels Tafelfreuden. Sie passierte gerade die immer noch glimmende Werkstatt des Stellmachers, als sie ein junges Paar in den Überresten des Gebäudes stehen sah. Sie unterhielten sich. Irgendetwas an ihrem Tonfall veranlasste Gretel, stehen zu bleiben. In dem jungen Mann erkannte sie Roland, den ältesten Sohn der Hunds. Die junge Frau, vom schwindenden Licht zum Blinzeln gezwungen, war Johanna, das neue Mädchen aus Madame Renoirs Salon, das Gretel bekannt vorkam, ohne dass sie wusste, woher.
Ihre Detektivfühler zuckten heftig, also versteckte sie sich hinter einem passenden Fliederstrauch und richtete besagte Fühler auf das Gespräch aus.
»Es hilft nichts, wenn du herkommst«, murmelte Roland. »Die Dinge sind, wie sie sind.«
»Ich glaube nicht, dass du das wirklich willst. Ich kann es nicht hinnehmen.« Das Mädchen zog ein spitzengesäumtes Taschentuch aus dem Ärmel und schnäuzte sich geziert. Roland schmolz sogleich dahin. Gretel nahm sich vor, diese feminine Taktik bei Gelegenheit selbst anzuwenden, zog ihr Notizbuch aus der Jackentasche und schrieb: »Taschentücher – vorzugsweise gewaschen.«
»Johanna, nicht.« Sanft legte der junge Mann dem Mädchen eine Hand auf die bebende Schulter. »Du weißt doch, dass ich es nicht ertragen kann, dich weinen zu sehen.«
»Es ist eine Qual zu wissen, dass du so nahe bist, und doch …«
»Wir haben so oft schon darüber gesprochen.«
»Nach all den Jahren, die ich dir die Treue gehalten habe. Nach allem, was ich durchgemacht habe.«
»Ich weiß …«
»All die Zeit des Wartens und Hoffens. All diese Zeit, die ich mit … oh! Ich bringe es nicht über mich, seinen Namen auszusprechen.« Wieder schnäuzte sie sich, ein zerbrechlicher, melodiöser Atemhauch. Gretel befürchtete, angesichts ihrer Körpermassen dergleichen niemals zustande zu bringen. Bei ihr würde wohl ein Trompetenstoß daraus.
Roland ließ die Hand sinken.
»Vielleicht ist es besser, du ziehst fort. Es war ein Fehler, dass du hergekommen bist.«
»Du willst mich fortschicken?« Johanna hörte auf zu schniefen und funkelte ihn böse an. Ihre Veränderung war so abrupt und radikal, dass Roland unwillkürlich zurückwich. »Hat dir unsere Liebe so wenig bedeutet, dass du mich einfach so aus deinem Leben verbannen kannst? Oh, Roland, du bist nicht der Mann, für den ich dich gehalten habe! Wo ist der standhafte Junge, der immer wieder so viel gewagt hat, nur um mit mir zusammen zu sein? Wo ist der galante junge Mann, der mich nie im Stich gelassen hat, der sich abgerackert hat und weit gereist ist, nur damit wir Augenblicke der Schönheit und Liebe teilen konnten, wann immer und wo immer es möglich war? Bist du plötzlich willensschwach geworden?«
»Johanna, bitte reg dich nicht auf.«
»Warum nicht? Soll ich stumm über mich ergehen lassen, dass ich grausam fortgeworfen werde? Ich glaube nicht!«
»Was kann ich sagen, dass du mich verstehst …? Die Dinge haben sich geändert. Es ist nicht mehr, wie es einmal war. Unser Leben ist anders geworden. Ich habe Verpflichtungen.«
Des Mädchens Augen blickten finster und zornig. Sie spie ihm ihre Worte entgegen: »Charlotte!«
Gretel hätte beinahe ihre Schreibfeder zerbrochen, als sie sich Notizen machte. Charlotte? War es möglich, dass sie Prinzessin Charlotte meinte?
»Deine kostbare Prinzessin!«, stieß Johanna hervor.
Anscheinend.
»Pssst.« Furchtsam schaute Roland sich um. »Bitte, Johanna, ich flehe dich an, sprich nicht über sie.«
»Was kümmert es mich, wenn dein schäbiges kleines Geheimnis ans Tageslicht kommt? Was interessiert es mich, was aus dir wird? Aus euch beiden!«
»Wenn wir entdeckt werden …«, setzte Roland an, verstummte dann aber. Johanna hatte ihr
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