Es war einmal ein Mord: Ein Hänsel und Gretel-Krimi (German Edition)
Kaffeekonsum einschränken.«
»Ruhe, im Namen des Königs!«
»Das ist doch lächerlich. Ich will mich nicht zur Wehr setzen, ich will mir nur etwas anziehen.«
Irgendetwas regte sich im Hintergrund des Raums. Dann erklang eine sanfte, tiefe Stimme:
»Wachtmeister, sei so gut und gestatte dem Fräulein, sich anzukleiden.«
Die Soldaten traten zur Seite und gaben den Blick frei auf den attraktiven Mann, der Gretel bereits in des Königs Schloss aufgefallen war. Sie hatte auch nicht vergessen, wie anziehend er in seiner Ausgehuniform beim Starkbierfest ausgesehen hatte. Nun spürte sie, wie eine mädchenhafte Röte ihre Wangen überzog. Während sie zuvor, als sie sich lediglich gegen die lästigen Soldaten hatte behaupten müssen, eher wütend als beschämt ob ihrer Nacktheit gewesen war, fühlte sie sich nun, da sie verseift und ungeschönt vor diesem unverschämt feschen Mannsbild stand, mehr gedemütigt als je zuvor in ihrem Leben. Zur Abwechslung fehlten ihr die Worte. Sie klappte den Mund auf in der Hoffnung, irgendetwas Würdevolles würde herausfallen, aber da war nichts. Zugleich war ihrschmerzlich bewusst, dass sie immer noch das leere Wermutglas umklammerte, womit sie sich noch alberner vorkam, falls das überhaupt möglich war.
Der königliche Diener ließ sich von Hänsel eine Robe geben, trat vor und reichte sie Gretel mit einem umwerfenden Lächeln. Sie streckte die Hand danach aus, aber er ließ nicht gleich los, sondern hielt das Kleidungsstück zwei, drei Sekunden fest, gerade lange genug, dass er einen Blick über jeden glänzenden Quadratzoll ihres Körpers wandern lassen konnte. Dann, nach einer gefühlten Ewigkeit, ließ er den Hausmantel los, bedachte Gretel mit einer angedeuteten, gleichwohl respektvollen Verbeugung und wandte sich sittsam ab.
»Sobald du bekleidet bist, Fräulein Gretel, wären der Wachtmeister und ich dir sehr verbunden, würdest du uns zum Sommerschloss begleiten«, sagte er und verließ langsamen Schrittes das Zimmer.
6
E s hatte Gretels ganze beträchtliche Sturheit und Verstandeskräfte erfordert, die Soldaten zu überzeugen, dass ihr gestattet werden sollte, etwas Passenderes als ihren unschicklichen Hausmantel anzulegen. Schließlich hatten sie unter der Bedingung zugestimmt, dass Gretel das Zimmer nicht verließ, und Hänsel losgeschickt, ein paar Kleidungsstücke aus ihrem Schrank auszuwählen. Trotz detaillierter und sorgfältiger Anweisungen bestand das daraus resultierende Ensemble aus einem unharmonischen Durcheinander. Aber, tröstete sich Gretel, immer noch besser als ein ausgefranstes, besticktes Baumwolltuch voller Speisereste.
Während sie lauthals über die Geschmacksverirrung schimpfte, eine cremefarbene Leinenbluse mit einem schwarzseidenen Abendrock zu paaren und den ganzen Unsinn mit Sommersandalen abzurunden, fiel ihr auf, dass sie jedes Mal, wenn sie dem feschen jungen Mann unter die Augen kam, weit davon entfernt gewesen war, sich von ihrer besten Seite zu zeigen. Es bereitete ihr Kopfzerbrechen, dass ihr dies Kopfzerbrechen bereitete. Hänsel hatte nicht die Geistesgegenwart besessen, einen Hut auszuwählen, und ihr Haar war noch nass vom Bad. Entmutigt erkannte Gretel, dass es sich bald in ein krauses Chaos verwandeln und ihre Demütigung vollkommen machen würde. Und welche Hoffnung blieb ihr noch, jemanden von ihrer Unschuld und ihrer Vertrauenswürdigkeit zu überzeugen, wenn sie aussah wie eine Verrückte, die weder ein anständiges Kleid noch einen Kamm besaß?
Die Entourage erreichte das Schloss unter einem nahezu sternenlosen, schwarzen Himmel, an dem tief hängende Gewitterwolken mit Regen drohten. Die Nacht war schwül, nachdem die sanfte Frühlingswärme einem frühzeitigen Sommerausbruch gewichen war, der die Atmosphäre mit einer unangenehmen Feuchte aufgeladen hatte.
Gretel wurde aus dem Käfig geholt, in dem man sie kurzerhand hergeschafft hatte, und vom Wagen gehoben. Zwei Soldaten wurden angewiesen, sie zum Kerker zu geleiten.
»Herr Schmerz wartet schon!«, informierte sie der Wachtmeister.
Gretel war ziemlich sicher, dass sie Herrn Schmerz, so er im Kerker lebte, nicht mögen würde. Ihr fiel auf, dass der gut aussehende Mann sie beobachtete, während sie fortgebracht wurde. So seltsam es auch schien, sie war mehr und mehr überzeugt, dass er ein gewisses Interesse an ihr hegte, dass es eine unterschwellige prickelnde Verbindung zwischen ihnen gab. Doch sie schüttelte die Gedanken ab, was sich in einer Kopfbewegung
Weitere Kostenlose Bücher